Limonow (German Edition)
mit Kadik beim Pobeda -Kino ankommt, treffen sie im Gemenge auf seine ganze Saltower Bande, nur nicht auf Sweta. Kadik versucht, ihn zu beruhigen: Es ist noch früh. Auf der Tribüne wechseln sich verschiedene offizielle Redner ab. Als er es nicht mehr aushält, lässt Eduard sich dazu herab herumzufragen, ob jemand Sweta gesehen habe, und leider hat jemand sie gesehen: im Kulturpark, mit Schurik. Schurik ist ein Arschloch von achtzehn Jahren mit einem mickrigen Schnauzbart, und Eduard ist überzeugt, dass er bis zu seiner Rente Schuhverkäufer sein wird, während er selbst durch die ganze Welt kommen und das Leben eines Abenteurers führen wird – trotzdem gäbe er im Moment viel dafür, an Schuriks Stelle zu sein.
Der Wettbewerb beginnt. Das erste Gedicht handelt von den Schrecken der Knechtschaft, was Kadik zum Grinsen bringt: Es gibt schon seit einem Jahrhundert keine Knechtschaft mehr – echt modern, Leute! Es folgt etwas übers Boxen, das wie eine Imitation des jungen, gerade bekannt werdenden Dichters Jewgeni Jewtuschenko wirkt, wie es keinem der Halbstarken im Publikum entgeht. Endlich ist Eduard an der Reihe; und während er die Tränen gerade noch zurückhalten kann, rezitiert er ein Gedicht, das er für Sweta geschrieben hat. Danach, noch während ihm die anderen Kandidaten auf der Bühne folgen, wird er von seiner Bande gefeiert. Sie küssen ihn, klopfen ihm auf die Schultern, rufen ihm zu: »Friss deinen Schwanz!« – ein ritueller Gruß der Saltower –, prophezeien ihm, dass er den Preis gewinnen wird, und schließlich bekommt er ihn auch. Er steigt noch einmal auf die Bühne, der Direktor des Kulturhauses Stalin gratuliert ihm und überreicht ihm eine Urkunde sowie ein Geschenk.
Was für ein Geschenk?
Ein Domino-Spiel.
Scheiße, diese Arschlöcher, denkt Eduard, ein Domino-Spiel!
Am Ausgang des Pobeda , während er im Kreis seiner Kumpels versucht, eine gute Figur zu machen, spricht ihn ein Typ an, der behauptet, er sei von Tusik geschickt worden. Tusik ist ein wohlbekannter Gangster in Saltow: Er ist zwanzig Jahre alt, versteckt sich, um dem Militärdienst zu entgehen, und wechselt niemals den Ort ohne eine Eskorte von bewaffneten Männern. Und, so sagt sein Bote, er will den Dichter sehen. Die Freunde schauen sich beunruhigt an: Da hört der Spaß auf. Tusik ist notorisch gefährlich, aber es wäre noch gefährlicher, seine Einladung auszuschlagen. Der Mittelsmann führt ihn in eine Sackgasse in der Nähe des Kinos, wo ein gutes Dutzend finsterer Kerle wartet und in der Mitte dieses Hofstaats ein stämmiger, fast fetter, schwarzgekleideter Tusik, der sagt, er habe das Gedicht gemocht. Er will, dass der Dichter ihm ein weiteres zu Ehren von Galja schreibe, der stark geschminkten Blonden, die er um die Taille hält. Eduard verspricht es, und um diese Abmachung zu besiegeln, reicht man ihm einen Joint mit Hasch aus Tadschikistan. Es ist das erste Mal, dass er raucht, es widert ihn an, dennoch schluckt er den Rauch hinunter. Dann fordert Tusik ihn auf, Galja zu küssen. Auf den Mund. Er hat allen Grund, auf der Hut zu sein. Alles, was Tusik sagt, scheint einen Hintersinn zu haben, und wenn er einen in die Arme nimmt, dann vielleicht, um einem den Bauch aufzuschlitzen. Angeblich war Stalin so: mal sanft, mal grausam. Eduard will sich mit einem Lachen aus der Affäre ziehen, doch der andere lässt nicht locker: »Du willst nicht mit meiner Freundin knutschen? Gefällt sie dir etwa nicht? Los, steck ihr die Zunge rein!« Das Lied kennt man, es verheißt nichts Gutes, dennoch passiert nichts Unerfreuliches. Lange, sehr lange, trinkt man weiter, raucht und witzelt herum, dann beschließt Tusik, abzuziehen und einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Eduard, der nicht genau weiß, ob man ihn als Maskottchen oder als Prügelknabe adoptiert hat, würde den Moment gern nutzen, um sich zu verdrücken, aber Tusik gibt ihn nicht frei.
»Dichter, hast du schon mal jemanden umgelegt?«
»Nein«, antwortet Eduard.
»Willst du mal?«
»Ähhh …«
Letztlich findet Eduard es aufregend, der Freund von Tusik zu sein und mit ihm an der Spitze von zwanzig hartgesottenen Kerlen zu marschieren, die bereit sind, die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Es ist spät, die Feiern sind zu Ende, die meisten Leute sind nach Hause gegangen, und jene, die in den Straßen mit den zerbrochenen Laternen die Bande kommen sehen, machen sich schleunigst aus dem Staub. Aber es trifft sich, dass ein Typ und zwei Mädchen
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