Limonow (German Edition)
nicht schnell genug sind, und so fängt man an, sie zu triezen. »Du hast zwei Tussis für dich allein«, sagt Tusik süßlich zu dem Typen, »da kannst du mir doch eine mal leihen!« Der Typ erbleicht und begreift, dass er in einer misslichen Lage ist; er versucht zu scherzen, doch Tusik faltet ihn mit einem Faustschlag in den Bauch zusammen. Auf sein Signal hin fangen die anderen an, die Mädchen zu begrapschen. Es grenzt an Vergewaltigung. Es wird eine Vergewaltigung. Eines der Mädchen ist bald nackt, sie ist dick und sehr bleich, wahrscheinlich eine Proletin aus einem Saltower Haushalt. Die Kerle stopfen ihr der Reihe nach die Finger in die Möse. Eduard tut es ihnen gleich, es ist feucht und kalt, als er seine Hand zurückzieht, ist Blut daran. Plötzlich sackt seine Erregung in Ernüchterung zusammen. Einige Meter daneben vergewaltigen zehn von ihnen nacheinander die andere. Den Mann schlagen sie halbtot. Sein Wimmern wird immer schwächer, dann bewegt er sich nicht mehr. Die Hälfte seines Gesichts ist ein blutiger Brei.
Da dieser Zwischenfall für etwas Unschlüssigkeit sorgt, gelingt es Eduard nun zu flüchten. Er läuft schnell, in der Tasche sein Messer und sein Heft voller Gedichte, unterm Arm seine Schachtel mit Dominosteinen, und er weiß nicht, wohin er gehen soll. Nicht zu Kadik und nicht zu Kostja. Schließlich geht er zu Sweta. Er hat Lust zu ficken oder zu töten. Wenn sie allein ist, fickt er sie, wenn sie mit Schurik ist, tötet er beide. Es gibt keinen Grund, sich zu bescheiden: Da er minderjährig ist, wird man ihn nicht erschießen, er bekommt höchstens fünfzehn Jahre, und die Freun-de sehen ihn als Helden an.
Trotz der späten Stunde öffnet ihm Swetas Mutter, die mehr oder weniger im Ruf steht, eine Hure zu sein, die Tür. Sweta ist noch nicht zu Hause.
»Willst du auf sie warten?«
»Nein, ich komme später noch mal.«
Er geht zurück in die Nacht, läuft, läuft, einer Mischung aus Erregung, Wut, Abscheu und anderen Gefühlen ausgeliefert, die er nicht einordnen kann. Als er zurückkommt, ist Sweta da. Allein. Was dann passiert, ist konfus, es gibt nicht wirklich ein Gespräch, Eduard ist sofort mit ihr im Bett und bumst sie. Es ist sein erstes Mal. Er fragt sie: »Steckt dir Schurik so seinen Schwanz rein?« Als er (zu früh) kommt, zündet sich Sweta eine Zigarette an und legt ihm ihre Philosophie dar: Frauen sind reifer als Männer, deshalb muss der Mann, wenn es sexuell klappen soll, älter sein. »Ich mag dich wirklich gern, Edik, aber schau mal, du bist noch zu klein. Du kannst zum Schlafen hierbleiben, wenn du willst.«
Eduard will nicht, er geht blindwütig davon, in der Überzeugung, dass die Menschen es verdienen, getötet zu werden; und er beschließt, welche zu töten, wenn er groß ist: ganz bestimmt.
Das also war die Geschichte seiner Entjungferung.
6
Die folgende Szene spielt sich fünf Jahre später in dem Zimmer ab, das von der Familie Sawenko bewohnt wird. Es ist Mitternacht, Eduard zieht sich lautlos aus, um seine Mutter nicht zu wecken, die allein im Ehebett schläft. Sein Vater ist auf Einsatz, er weiß nicht wo und möchte es auch nicht wissen; die Zeiten, da er ihn bewunderte, sind lange vorbei. Obwohl acht Stunden Fabrikarbeit ihn erschöpft haben, ist er dennoch nicht müde, und er setzt sich an den Tisch, auf dem die in Kunstleder gebundene Ausgabe von Rot und Schwarz aus einer Sammlung ausländischer Klassiker herumliegt. Seine Mutter muss sie zur Begleitung ihres einsamen Abendessens aus der kleinen Bibliothek geholt haben, deren Glastüren die Zeugnisse ihrer Bildung vor Staub schützen. Eduard hat das Buch früher einmal gelesen und gemocht. Während er darin blättert, stößt er auf die berühmte Stelle, wo Julien Sorel sich an einem Sommerabend unter einer Linde ein Herz fasst und die Hand von Madame de Rénal ergreift, und diese Szene, die ihn einmal so begeisterte, erfüllt ihn plötzlich mit einer schwindelerregenden Traurigkeit. Vor ein paar Jahren noch war es ihm ein Leichtes, sich mit Julien zu identifizieren, der einem vergammelten Kaff entkommt ohne andere Trümpfe als seinen Charme und seinen Ehrgeiz, und er konnte sich gut vorstellen, wie dieser eines Tages eine schöne Adelige zu verführen. Was ihm jetzt mit brutaler Gewissheit deutlich wird, ist nicht nur, dass er keine schöne Adelige kennt, sondern auch keinerlei Chance haben wird, je eine solche kennenzulernen.
Er hatte große Träume, und seit zwei Jahren läuft alles schief.
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