Limonow (German Edition)
Eduard hasst die Michalkows, wie er überhaupt alle Erben hasst. Unter den Freunden von Sapgir befindet sich ein anderer von derselben Sorte: Viktor, ein hoher Kulturapparatschik um die Fünfzig, der glatzköpfig und elegant ist und an diesem Abend mit einem weißen Mercedes anrauscht und der Gesellschaft seine neue Verlobte vorstellt: Elena.
Elena ist zwanzig Jahre alt, brünett, schmal und hochgewachsen und trägt einen Leder-Minirock, Seidenstrumpfhosen und hochhackige Schuhe. Ein Mädchen, wie es Eduard höchstens auf den Titelseiten der ausländischen Hochglanzzeitschriften gesehen hat, die man sich unter dem Mantel weiterreicht, wie Elle oder Harper’s Bazaar , aber noch nie in Wirklichkeit. Er ist wie vom Blitz getroffen. Er hat Angst, sich ihr zu nähern. Wenn sie ihn anschaut, vergräbt er seine Nase in seinem Teller. Sie ist es schließlich, die ihn amüsiert über seine Schüchternheit anspricht. Ein paar Wochen später wird sie ihm sagen, dass er mit seinen weißen Jeans und dem roten, weit offenstehenden Hemd über seinem braungebrannten Oberkörper das einzige wirklich lebendige Wesen in dieser Runde von übersättigten, blasierten Leuten war. Als er den Korken einer Champagnerflasche hochgehen lässt, zerschlägt er ein paar venezianische Gläser und lässt sie damit in schallendes Gelächter ausbrechen. Die Tatsache, dass er Dichter ist, vermag sie an sich nicht weiter zu beeindrucken, Dichter trifft man an jeder Ecke; aber als er auf ihre Aufforderung hin eines seiner Gedichte vorträgt, macht sie große Augen. Auf Viktors Drängen hin hatte sie selbst einmal welche geschrieben: Sie sind schlecht, aber das sagt Eduard ihr nicht. Ebenso wenig sagt er ihr, dass er ihren kleinen Hund grotesk findet. Während sie miteinander reden, lachen und das Hündchen mit Kaviar vollstopfen, vergleichen Viktor und andere Wichtigtuer seines Alters ihre Privilegien und gratulieren sich lautstark dazu. Als sie gehen, fragt Viktor mit dem Ton eines Vaters, der seine Tochter vom Kindergarten abholt, ob Elena sich gut amüsiert habe. Der ein wenig aufmerksamere Sapgir, der die beiden jungen Leute aus dem Augenwinkel beobachtet hat, nimmt Eduard zur Seite: »Mach keinen Scheiß. Das ist kein Mädchen für dich.«
Zu Beginn des Sommers fährt Viktor auf eine Vortragsreise über die hohe Mission der sozialistischen Kunst und der Völkerfreundschaft nach Polen. Ein Glücksfall für Eduard: Freunde von ihm, die auf ihre Datscha fahren, vertrauen ihm die Aufsicht über ihre Dreizimmerwohnung mitten im Zentrum an.
Es ist eher Elena, die aus Neugier mit ihm schläft als andersherum, und das erste Mal ist nicht gerade berauschend. Er wird die Sache in der Folge wieder gutmachen, aber mit seinen siebenundzwanzig Jahren hatte er bislang kein besonders aufregendes Sexualleben: Auf die Saltower Poppereien folgten sechs monogame Jahre mit einer Frau, die ihn nicht wirklich erregt und die eher eine Überlebenspartnerin als eine Geliebte ist. Elena ist für ihn eine Außerirdische. Ihr zierlicher, sinnenfreudiger Körper, ihre makellose glatte Haut ohne jeden roten Fleck und ohne irgendeine Falte: Sein ganzes Leben lang hatte er von so etwas geträumt ohne zu wissen, ob es existierte. Jetzt hält er sie in seinen Armen, sie soll ihm gehören, ihm allein und niemals mehr einem anderen. Leider begreift er schnell, dass sie die Dinge ganz und gar nicht so sieht. Sie hat die Abwesenheit von Viktor genutzt, um mit diesem muskulösen Jungen zu schlafen, der voller Energie und schüchtern und frech zugleich ist, aber in ihrem Milieu zieht die Tatsache, mit jemandem zu schlafen, keinerlei Konsequenzen nach sich. Jeder schläft mehr oder weniger mit jedem, und der junge Dichter, da sieht sie keinen Grund, ihm das zu verheimlichen, ist nicht der Einzige, der ihr gefällt: Sie hat auch noch einen Schauspieler im Auge, einen Vertrauten dieses Kreises von Privilegierten, in dem man Champagner trinkt und Mercedes fährt.
Ohne Nachricht von Elena in den nächsten Tagen vergeht Eduard vor Ungeduld, dann hält er es nicht mehr aus und geht eines Abends zu ihr. Mit klopfendem Herzen klingelt er. Niemand. Er beschließt, auf dem Treppenabsatz zu warten. Es ist Sommer, das Wohnhaus der Bonzen ist ausgestorben, es gibt keine argwöhnischen Nachbarn, die ihn fragen könnten, was er da zu suchen habe. Eine Stunde, zwei Stunden, die ganze Nacht geht vorüber. Er schläft ein, dann wacht er ruckartig auf, die Stirn auf den Knien. Kurz vor Morgengrauen hört
Weitere Kostenlose Bücher