Limonow (German Edition)
geschlagen und rast vor Eifersucht. Als Anna wach ist, sieht er sie im Zimmer umhergehen: Wie gelassen sie ist, diese verlogene, treulose Frau! Sie scheint ein völlig ruhiges Gewissen zu haben!
Er sagt nichts; doch er überzeugt sie, für einige Zeit nach Charkow zurückzukehren, bis er ein passendes Zimmer für sie beide gefunden habe. Am nächsten Tag begleitet er sie zum Bahnhof, ohne auch nur einen Augenblick lang aufhören zu können sich vorzustellen, wie ihr dicker, formloser Leib von dem alten, knorrigen Körper des Malers penetriert wird, und es beruhigt ihn auch nicht, wenn er sich sagt, dass er dafür den grazilen, prächtigen Körper des kleinen reichen Mädchens besitzt. Im Übrigen weiß er ganz gut, dass er ihn nicht besitzt, sondern dass Elena sich seiner nach Belieben bedient, ohne sich weiter Gedanken darum zu machen. Er leidet. Er kauft Anna Proviant für die Reise und sucht einen komfortablen Platz für sie im Zug. Im Prinzip handelt es sich nur um eine vorübergehende Trennung, aber er weiß, in Wirklichkeit ist es aus. Sie wird nicht mehr nach Moskau zurückkehren.
Den ganzen Herbst lang verzehrt ihn seine Leidenschaft für Elena. Sie machen lange Spaziergänge auf dem Nowodewitschi - Friedhof – einer Hochburg für literarische Pilgerreisen von Liebhabern Tschechows und anderer Bartträger des 19. Jahrhunderts. Das Hündchen, das einst sein Blut aufschleckte, trottet hinter ihnen her und stößt Klageseufzer aus, wenn sie im Einzelbett seines kleinen Kommunalka -Zimmers vögeln. Elena ihrerseits genießt lautstark ihre Orgasmen. Die Babuschka aus dem Nebenzimmer zwinkert ihnen anzüglich zu: »Man merkt sofort, dass sie nicht aus deiner Welt stammt«, sagt sie zu Eduard, »aber man merkt auch, dass du’s in der Hose haben musst. Du scheinst Dinge mit ihr anzustellen, von denen ihre gestopften Freunde nicht einmal wissen, dass sie existieren.« Eduard mag die Babuschka und diese Rolle des Prolls mit dem großen Schwanz, der die Prinzessin verrückt macht vor Lust und ihre Verehrer aus der Welt der Reichen und Schönen rasend vor Eifersucht. Sie alle sind verliebt in sie, aber er ist es, den sie liebt und für den sie im Laufe dieses Winters beschließt, Viktor zu verlassen. Er ist es, den sie heiratet, in der Kirche. Und um seinetwillen erklärt sie sich bereit, arm in einem Zimmerchen zu leben oder manchmal in einer geborgten Wohnung.
Er hat gewonnen. Alle Welt beneidet ihn: die kleine Welt des Underground , wo man noch nie eine Frau von solcher Schönheit und Raffinesse gesehen hat, und die Reichen, denen der dreiste Dichter mit den weißen Jeans die Prinzessin geraubt hat. Elena und er sind für einige Zeit die Könige der Moskauer Boheme. Wenn es um 1970, während der grauesten Zeit der grauen Breschnew-Jahre, so etwas wie sowjetischen Glamour gegeben hat, waren sie beide die Inkarnation davon. Es gibt ein Foto, auf dem er mit langen Haaren triumphierend dasteht, gekleidet in das, was er seine »Jacke des Nationalhelden« nennt, ein Patchwork aus einhundertvierzehn bunten, von ihm zusammengenähten Teilen, und zu seinen Füßen die nackte Elena, hinreißend, grazil, mit ihren kleinen, festen Brüsten, die ihn ganz verrückt machten. Dieses Foto hat er sein Leben lang behalten, überallhin mitgeschleppt und in jeder seiner Bleiben an die Wand gepinnt wie eine Ikone. Es ist sein Talisman. Es bedeutet ihm: Was auch immer ihm zustoßen mag, so tief er auch fallen mag, er war einmal dieser Mann. Und er hat diese Frau gehabt.
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Parallelen im Leben von berühmten Männern: Alexander Solschenizyn und Eduard Limonow verließen ihr Land beide im Frühjahr 1974, aber der Weggang des ersten erregte mehr Aufsehen in der Welt als der des zweiten. Seit Chruschtschows Sturz trat der Konflikt zwischen der Macht und dem Propheten von Rjasan offen zutage, der kraft eines typisch sowjetischen Widerspruchs als wichtigster Schriftsteller seiner Zeit galt und gleichzeitig Publikationsverbot hatte. Ich kenne wenige so beeindruckende Lebensgeschichten wie die dieses einsamen, mittelalterlichen, bäuerlichen Manns, der sowohl einen Krebs als auch die Lager überlebt hatte und auf die Gewissheit baute, noch zu seinen Lebzeiten die Wahrheit triumphieren zu sehen, denn jene, die lügen, haben Angst und er nicht. Als seine Kollegen seinen Rauswurf aus der Sowjetunion beschließen, weil unter anderem »in seinem Werk das Thema der Solidarität unter Schriftstellern nicht zu finden« sei, hat dieser Mann die
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