Limonow (German Edition)
er Elena drei Etagen tiefer in der Eingangshalle lachen, und ein Männerlachen antwortet dem ihren.
Er versteckt sich auf dem Treppenabsatz darüber; von dort kann er sehen, wie der Fahrstuhl anhält und sie immer noch lachend aussteigt – in Begleitung des berühmten Schauspielers, der sie mitten auf den Mund küsst, bevor sie die Wohnung betreten. Eduard leidet, es kommt ihm vor, als habe er in seinem ganzen Leben noch nie so gelitten. Das einzige Mittel gegen solch ein Leid ist für einen Kerl aus Saltow, das zu tun, was er zehn Jahre zuvor bei Sweta und ihrem Arschloch von Schurik versäumt hat, nämlich sie und ihren Liebhaber zu töten. Er trägt immer noch sein Messer bei sich. Er zieht es heraus, steigt eine Treppe tiefer und klingelt noch einmal. Keine Antwort. Sie werden ja wohl noch nicht in der Kiste sein! Er läutet, dann donnert er mit schweren, bedrohlichen Schlägen an die Tür wie die Tschekisten, wenn sie nachts kommen, um Leute zu verhaften. Und, da mögen die Zeiten noch so vegetarisch geworden sein, Elena kriegt es mit der Angst zu tun. Er hört sie aus der Tiefe des Apartments herannahen. Mit verstellter Stimme fragt sie, wer da sei. »Eddy?« Erleichtert lacht sie auf. »Hast du auf die Uhr geschaut? Du bist verrückt!« Sie weigert sich ihn hineinzulassen und bittet ihn zu gehen, zunächst freundlich, dann weniger nett. Sei’s drum! Auf dem Treppenabsatz schlitzt er sich die Adern auf. Um sich um ihn zu kümmern, muss sie ja wohl aufmachen. Man legt ihn in die Küche; dort schlabbert das Hündchen munter das Blut auf, das ihm aus dem Handgelenk rinnt.
Eine andere hätte wohl sofort Schluss gemacht. Nicht so Elena, die weniger entsetzt ist von dieser Szene als beeindruckt von der Liebe, die der junge Dichter ihr entgegenbringt. Keiner in ihrem Milieu versteht auf diese Art zu lieben, so roh und unnachgiebig. Er nimmt alles zu ernst, aber im Vergleich zu ihm wirken sämtliche Leute, die sie kennt, lau. Außerdem erweist er sich nach der ersten Aufregung als bemerkenswerter Liebhaber, und sie verbringen den ganzen Sommer damit, es in allen Richtungen und mit allen Löchern miteinander zu treiben – und schon bald sehnt sie ihre Begegnungen mit derselben Ungeduld herbei wie er. Als Viktor von seiner Polenreise zurückkehrt, treffen sie sich in der Wohnung, in der Eduard mit Blumengießen beauftragt ist. Der Sommer in Moskau ist fürchterlich heiß. Den ganzen Nachmittag lang bleiben sie nackt, duschen gemeinsam und erregen sich damit, in den Spiegeln seinen braungebrannten und ihren sehr weißen Körper anzuschauen. Ende August kommen die Wohnungsbesitzer von ihrer Datscha zurück, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Platz zu räumen, aber, welch neuer Glückstreffer, eine Freundin möchte ihr 9 qm-Zimmer untervermieten – und das ist ein hinreichender Luxus, um sich nicht weiter umsehen und sie mit einer Absage enttäuschen zu müssen – und dieses Zimmer befindet sich fünf Minuten von Elenas und Viktors Wohnung entfernt, auf der anderen Seite des Neujungfrauenklosters. Für Eduard ist es ein Zeichen des Schicksals, und als Anna aus Litauen zurückkehrt, tut er etwas, was er eigentlich ablehnt: Er lügt. Er sagt, ihr Zimmer von vor dem Sommer sei nicht mehr frei, und bis er etwas Besseres gefunden habe, schlafe er bei Freunden auf dem Sofa, wo nicht genug Platz sei für zwei; deshalb habe er für den Übergang auch für sie einen Platz auf einem Sofa besorgt, bei anderen Freunden.
Er könnte mit ihr reden und ihr sagen, dass er sich verliebt hat. Er sollte es sogar tun, denn die Lüge macht ihm zu schaffen, doch er wagt es nicht: aus Angst vor ihrer Reaktion, vor ihrem Wahnsinn, aus Angst, sie zu zerstören. Und doch sieht Anna gut aus, sie ist entspannt, der Sommer an der Ostsee hat ihr offensichtlich gut getan. Aber sie kommt ihm verändert vor, und nicht nur, weil es ihr besser geht. Der Eindruck bestätigt sich, als sie miteinander im Bett sind: Ihre Bewegungen sind nicht mehr die gleichen. Und, da mag er noch so sehr in eine andere verliebt sein, es irritiert ihn. Am nächsten Morgen, während sie noch schläft, wühlt er in ihrem Koffer und entdeckt ein Heft, in dem sie Tagebuch geführt hat. Sie spricht von der Natur, vom Meer, den Blumen, von ihrer neuen Berufung als Malerin – und irgendwo auf einer Seite gesteht sie ihre wahnsinnige, sinnliche Leidenschaft für Dagmars Vater, den alten, bärtigen Maler mit dem Faunskopf. Eduard ist wie vor den Kopf
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