Limonow (German Edition)
seien die Tschekisten nicht so widerlich, wie die Dissidenten allgemein glauben machen wollen, sondern gutmütige, verschlafene Beamte, die man mit einem guten Witz schon für sich einnehmen könne. Weiterhin berichtet er, dass er über einen Freund niemanden Geringeren als die Tochter von Andropow kennengelernt habe, die mit diesem an der Uni war, ein übrigens recht hübsches Mädchen, die er einen ganzen Abend lang zum Lachen gebracht, ein bisschen angebaggert und schließlich herausgefordert habe: Würde sie es wohl schaffen, ihren lieben Papa zu überzeugen, ihr zuliebe mal einen Blick in die Akte des Dichters Sawenko-Limonow zu werfen? Die Kleine nahm keck die Wette an, und einige Tage später kam sie mit folgendem Resümee zurück – doch wie sollte man wissen, ob sie die Wahrheit wiedergab oder sich nur über ihn lustig machte? –: »Asoziales, antisowjetisches Element aus Überzeugung.«
Sicher ist jedenfalls: Im Gegensatz zu anderen asozialen, antisowjetischen Elementen wie Brodsky oder Solschenizyn, die man gewaltsam vor die Tür setzen musste und die viel dafür gegeben hätten, um ihr Heimatland und ihre Muttersprache nicht verlassen zu müssen, hatten Eduard und Elena Lust zu emigrieren. Er, weil er einem Schema folgend, das uns langsam bekannt sein dürfte, überzeugt war, nach sieben Jahren mit dem Moskauer Underground durch zu sein – so wie er sieben Jahre zuvor geglaubt hatte, mit der Charkower Dekandenz fertig gewesen zu sein –, Elena, weil sie den Kopf voll von ausländischen Zeitschriften, Stars und berühmten Mannequins hatte und sich fragte: »Warum nicht ich?«
Manchmal schleifte Elena Eduard zu einer sehr alten Dame mit, die eine Großtante einer ihrer Freundinnen war und Lili Brik hieß. Eine lebende Legende, sagte Elena respektvoll, denn Lili Brik war in ihrer Jugend die Muse von Majakowski gewesen. Ihre Schwester war in Frankreich unter dem Namen Elsa Triolet diejenige von Aragon geworden – und für Eduard war es ein vollkommenes Rätsel, wie Männer von solchem Kaliber diesen beiden pummeligen, hässlichen Frauen hatten ins Netz gehen können.
Diese Besuche langweilten ihn. Die einzige lebende Legende, die ihn interessiert, ist er selbst, und er mag weder die Vergangenheit noch diese typischen Wohnungen der alten russischen Intelligenzija voller Bücher und Bilder, Samoware, Teppiche und Medikamente auf dem Nachttisch, die der Staub zusammenklebt. Ihm genügt ein Stuhl und eine Matratze, wobei das bereits die Luxusvariante ist: Auf dem Land reicht ihm auch ein warmer Mantel. Elena dagegen insistierte, weil sie Berühmtheiten liebte und die achtzigjährige Lili sie ungeniert umschmeichelte. Sie konnte gar nicht aufhören, sich über Elenas Schönheit zu ereifern: Sie müsse nur auftauchen, und der Westen läge ihr zu Füßen. Wenn sie nach Paris gingen, müssten sie Aragon aufsuchen, und in New York ihre alte Freundin Tatjana, die damals auch einmal die Geliebte Majakowskis gewesen sei und jetzt über das Gesellschaftsleben von Manhattan regiere. Bei jedem Besuch zeigte sie Elena ein schweres, schönes Silberarmband, das Majakowski ihr einmal geschenkt hatte. Während sie es drehte und wendete und über ihr ausgedörrtes Handgelenk gleiten ließ, lächelte sie ihr zu: »Wenn ich tot bin, wirst du es tragen, mein Täubchen. Am Abend vor deiner Abfahrt schenke ich es dir.«
Für uns, die wir gehen und kommen und nach Belieben Flugzeuge nehmen, ist es schwer zu verstehen, dass die Vokabel »emigrieren« für einen Bürger der Sowjetunion eine Reise ohne Wiederkehr bezeichnete. Es ist schwer für uns, diese zwei Worte zu begreifen, die einfach sind wie das Heben und Senken einer Axt: »für immer«. Ich spreche hier nicht von Überläufern, von Künstlern wie Nurejew und Baryshnikov, die während einer Auslandstournee um politisches Asyl baten, denjenigen, von denen man im Westen sagte, sie hätten »die Freiheit gewählt«, während man sie in der Prawda als »Vaterlandsverräter« beschimpfte. Ich spreche von Leuten, die ganz legal emigrierten. Das war, auch wenn es schwierig blieb, in den siebziger Jahren möglich geworden; doch jeder, der einen solchen Ausreiseantrag stellte, wusste, dass er im Fall einer Bewilligung nie wieder würde zurückkehren können. Nicht einmal für einen Besuch oder für eine kurze Reise, nicht einmal, um seine im Sterben liegende Mutter zu umarmen. Einen solchen Schritt überlegte man sich zweimal, und deshalb wollten auch nur recht wenige Leute
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