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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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erniedrigte Proletarierin zu sein. Um sich bei den Agenturen vorzustellen, braucht man ein book , und eine hübsche junge Un bekannte, die ein book braucht, ist natürlich ein gefundenes Fressen für alle Aufreißer, die sich Fotografen schimpfen. Wenn Eduard abends nach Hause kommt, ist Elena immer öfter nicht da. Sie ruft an, um ihm mitzuteilen, er solle allein zu Abend essen, denn der Fototermin dauere noch länger. Er hört Musik in dem Zimmer, in dem sie sich befindet, und fragt, ob sie bald heimkomme. »Jaja, ich komme bald.« Bald, das ist selten vor zwei, drei Uhr nachts, und dann ist sie erschöpft und beklagt sich in gereiztem Ton, mit dem man sonst meint: »ich arbeite eben hart«, sie habe zuviel Champagner getrunken und zu viel gekokst. Es ist Winter, und es ist kalt bei ihnen; sie legt sich angezogen ins Bett und möchte zum Einschlafen in den Arm genommen werden, aber sie hat keine Kraft mehr für Sex. Sie schnarcht, denn ihre Nase ist immer noch zu. Im Schlaf zuckt ihr Gesicht leicht vor Ärger. Und er findet bis zum Morgengrauen keinen Schlaf und quält sich mit dem Gedanken, dass er nicht die Mittel habe, um eine so schöne Frau zu halten, und dass sie ihn verlassen werde, so wie er Anna verlassen hat, weil es Besseres auf dem Markt gibt. Es ist fatal, aber so ist das Gesetz, er an ihrer Stelle würde dasselbe tun.
    Er fragt sie aus, und sie entzieht sich. Er will mit ihr reden, und sie seufzt: »Aber worüber willst du denn reden?« Als er ihr seine Ängste gesteht, zuckt sie mit den Schultern und antwortet, das Problem mit ihm sei, dass er zu ernst ist. »Was heißt das, zu ernst? Zu verliebt in dich?« Nein: Aber er könne sich nicht amüsieren. Er verstünde nicht, das Leben zu genießen. Als sie das sagt, wirft ihr Mund eine so bittere Falte, dass er sie vor den Spiegel im Bad schubst und kontert: »Schau dich doch selbst an. Findest du, dass du aussiehst, als ob du das Leben genießt? Glaubst du, du siehst aus, als ob du dich amüsierst?« »Wie soll ich mich mit dir auch amüsieren«, antwortet sie. »Du machst mir ständig nur Szenen. Du fragst mich aus, als seist du der KGB .«
    Von Szene zu Szene, von Verhör zu Verhör packt sie immer mehr aus. Wie alle Frauen in einem solchen Fall versucht sie zunächst, sich auf das Minimum zu beschränken – »Was spielt das für eine Rolle, wer es ist?« –, aber er lässt nicht locker, bevor er erfährt, dass der andere Jean-Pierre heißt. Franzose, ja. Fotograf. Fünfundvierzig Jahre alt. Attraktiv? Nicht wirklich: Er hat eine Glatze und einen Bart. Und ein Loft in der Spring Street. Nicht superreich, nein, auch kein Superstar in seinem Metier, aber für ihn läuft es ganz in Ordnung. Ein Erwachsener halt, kein gottverlassener kleiner Ukrainer, der seine Erfolglosigkeit allen anderen in die Schuhe schiebt und nicht aufhört, den Beleidigten zu spielen und zu heulen.
    So sieht sie ihn also jetzt, und tatsächlich heult er. Eduard, der Hartgesottene, weint. Wie in Jacques Brels Lied ist er bereit, zum Schatten ihrer Hand zu werden und zum Schatten ihres Hundes, wenn sie ihn nur nicht verlässt. »Aber ich will dich doch gar nicht verlassen«, sagt sie, denn es rührt sie, ihn so leiden zu sehen. Er fängt sich wieder: Dann wird alles gut werden. Solange sie zusammenbleiben, wird alles wieder gut. Sie kann einen Liebhaber haben, das ist nicht schlimm. Sie mag eine Hure sein. Dann wird er eben ihr Zuhälter. Das wird aufregend, eine Episode unter so vielen anderen in ihrem verwegenen Leben, sie werden Wüstlinge sein, aber unzertrennlich. Dieser Pakt begeistert ihn, er will Champagner trinken, um ihn zu begießen. Elena lächelt erleichtert und sagt ausweichend: ja, ja.
    In dieser Nacht lieben sie sich und schlafen erschöpft ein, und da er nicht mehr verpflichtet ist, ins Büro zu gehen, gibt er sich in den kommenden Tagen nur einer Obsession hin: sich mit ihr in der Wohnung zu verschanzen, das Bett nicht zu verlassen und in einem fort mit ihr zu vögeln. Nur in ihr fühlt er sich in Sicherheit, nur dort ist Festland. Ringsherum ist alles Treibsand. Er bleibt drei, vier Stunden lang steif, er braucht nicht einmal mehr den Dildo, der sonst oft seinen Schwanz ablöste, um Elena zu diesen unendlichen, wiederholten Orgasmen zu verhelfen, die sie beide so glücklich machten. Er hält ihr Gesicht in seinen Händen, schaut sie an, bittet sie, die Augen offen zu halten. Sie reißt sie weit auf, und er sieht darin ebensoviel Schrecken wie Liebe. Danach

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