Limonow (German Edition)
Freundes Wystan Auden, ein Genie der alten Schule.« Wenn man seine Verse lese, sei es, als höre man klassische Musik, Prokofjew oder Britten, während das, was dieser böse Junge Editschka schreibt, eher an Lou Reed erinnere: a walk on the wild side . »Also, ich will nicht sagen, dass Lou Reed besser ist als Britten oder Prokofjew«, präzisiert Schmakow, »ich persönlich ziehe Britten oder Prokofjew vor, aber eine Performance von Lou Reed in der Factory ist nun einmal zeitgenössischer als eine Aufführung von Romeo und Julia an der Metropolitan Opera, das kann man nicht leugnen.«
Diese Komplimente freuen Eduard, doch sie überraschen ihn nicht wirklich: Er wusste schon, dass sein Buch genial ist. Und so willigt er ein, dass Schmakow das Manuskript in seiner Umgebung herumreicht wie ein Samisdat und damit bei seinen beiden Helden beginnt: Brodsky und Baryshnikov.
Bei Brodsky ist Eduard misstrauisch, und er liegt richtig. Der große Mann braucht eine Ewigkeit, um es zu lesen, liest es mit Sicherheit nicht zu Ende, braucht noch einmal lange, um seine wertvollen Eindrücke mitzuteilen, und sie fallen schlecht aus. Auch ihn erinnert es an Dostojewski, allerdings macht das Buch seiner Meinung nach nicht den Eindruck, von Dostojewski geschrieben worden zu sein und nicht einmal von Raskolnikow, sondern von Swidrigailow, der perversesten, negativsten und gestörtesten Figur in Schuld und Sühne , und das macht einen großen Unterschied. Baryshnikov dagegen ist fasziniert. Sobald er während seiner Ballettproben einen freien Augenblick hat, sondert er sich ab, um sich weiter in das Manuskript zu vertiefen. Doch leider steht er dermaßen unter Brodskys Einfluss, dass er nicht wagt, sich gegen dessen Meinung auszusprechen.
Da Eduard beider nicht habhaft werden kann, treffen seine Ressentiments den guten, großzügigen Schmakow. Eduard bezeichnet ihn als Kurtisane, als Parasiten, als Freund der Reichen und Berühmten ohne Rückgrat. »Wenn du schon dabei warst«, wirft er ihm vor, »hättest du mein Buch auch gleich Rostropowitsch geben können, dem König der Opportunisten, dem Dritten im Bunde dieser höllischen Troika, dieser Mafiosi der Emigration, die, wenn sie zu Hause geblieben wären, garantiert Generalsekretäre des Schriftsteller-, des Komponisten- und des Tänzerverbands wären und alles täten, was in ihrer Macht stünde, um so wie hier die wirklich revolutionären Künstler zu ersticken.«
Schmakow senkt betrübt den Kopf.
5
An einem Winterabend besteht Schmakow darauf, Eduard zur Abwechslung zu einer Lesung einer sowjetischen Lyrikerin ins Queen’s College mitzunehmen. Eduard ist gar nicht begeistert von dieser Idee. Diese gegenseitigen Lobhudeleien zwischen amerikanischen Gelehrten und russischen Intellektuellen sind etwas für Brodsky, aber nicht für ihn; andererseits hat er genug davon, sich in seinem Loch immer im Kreis zu drehen, und so geht er mit. In dem gut gefüllten Saal nehmen Schmakow und er nicht weit von Baryshnikov entfernt Platz, und dieser tut so, als erkenne er Eduard nicht wieder – oder, das ist ebenso wahrscheinlich, er erkennt ihn wirklich nicht wieder. Es scheint sich genau das zusammenzubrauen, was Eduard befürchtet hat: ein Abend der Erniedrigungen und der heruntergeschluckten Wut, und seine Laune bessert sich nicht, als die Lesung beginnt.
Die Dichterin, Bella Achmadulina, gehört wie Jewtuschenko zu jener Generation der sechziger Jahre, die davon überzeugt ist, ich zitiere Eduard, »dass man mit einer Reise nach Paris, einem Besäufnis im Haus des Schriftstellerverbands und ein paar respektlosen Versen, die man tief unten in seiner Tasche verwahrt, das Schicksal eines Dichters begründen kann. Als Spezialisten für die Rache des kleinen Mannes am bereits toten und begrabenen Stalin haben sie es dazu gebracht, Objekte der Fürsorge westlicher Intellektueller zu werden – und diese reichen Petitionen ein, sobald man ihnen eine Lesereise ins Ausland versagt oder ihre Lyriksammlung zu nur 100000 Exemplaren auflegt statt zu einer Million – und sie verehren die Heilige Dreifaltigkeit erwartungsgemäß: Zwetajewa, die sich in einem gottverlassenen Nest erhängte, Mandelstam, der verrücktgeworden vor Angst in der Abfallgrube eines Lagers starb, wo er Knochen zum Abnagen sammelte, und vor allem Pasternak, ein liebenswertes dichterisches Talent, aber ein in sich verfangener, unterwürfiger Mensch, ein Datschen-Philosoph und Liebhaber von guter frischer Luft, Komfort und
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