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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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Treppenhaus eines Apartmenthauses zu vögeln. Der Maler bleibt verblüfft auf der Bank sitzen, dann erzählt er die Geschichte überall herum. »Also stimmt es, dass dieser Dreckskerl Limonow schwul geworden ist! Dass er sich von Negern in den Arsch ficken lässt!« Es ist bereits ein Gerücht im Umlauf, demzufolge er für den KGB arbeitet, und ein anderes, er habe sich nach Elenas Weggang umgebracht. Er lässt die Leute reden, es amüsiert ihn. Trotzdem mag er lieber Frauen. Das Problem ist nur, welche kennenzulernen.
    Im Park, wo er seine Tage mit Schreiben verbringt, spricht er eine an, die Flugblätter für die Arbeiterpartei verteilt. Der Vorteil bei Flugblätterverteilern, seien es nun Linke oder Zeugen Jehovas, ist, dass sie gewöhnlich eine Abfuhr bekommen und sich freuen, wenn einer wirklich mit ihnen diskutieren will. Die junge Frau heißt Carol, sie ist mager und nicht hübsch, aber Eduard kann sich zu diesem Zeitpunkt seines Lebens nicht erlauben, wählerisch zu sein. Die Arbeiterpartei, erklärt ihm Carol, sind amerikanische Trotzkisten, die für die Weltrevolution eintreten. Die Weltrevolution – für die ist Eduard auch. Er ist aus Prinzip auf der Seite der Roten, der Schwarzen, der Araber, der Schwulen, der Gammler, der Drogensüchtigen, der Puertoricaner und aller, die für die Weltrevolution sind oder wenigstens sein müssten, weil sie nichts zu verlieren haben. Und Trotzki – für den ist er auch. Er ist deshalb zwar noch lange nicht gegen Stalin, aber er vermutet, es sei besser, Carol davon lieber nichts zu sagen. Beeindruckt von seinem Ungestüm lädt sie ihn zu einem Meeting zur Unterstützung des palästinensischen Volks ein und warnt ihn vor: Es könnte gefährlich werden. Super, begeistert sich Eduard, doch das Meeting am nächsten Tag enttäuscht ihn fürchterlich. Nicht, weil es die Reden an Leidenschaft fehlen ließen, aber am Schluss gehen einfach alle auseinander: Die Leute schlendern nach Hause oder gehen grüppchenweise in coffee shops , um weiterzudiskutieren, ohne eine andere Aussicht als ein neuerliches Meeting im nächsten Monat.
    »Ich versteh dich nicht«, sagt Carol perplex. »Was hattest du denn erwartet?«
    »Naja, dass man zusammenbleibt. Dass man sich Waffen holt und eine Behörde überfällt. Oder ein Flugzeug entführt. Oder ein Attentat verübt. Ich weiß auch nicht, irgendwas halt.«
    Er bleibt an Carol dran in der vagen Hoffnung, mit ihr ins Bett zu gehen, doch es stellt sich heraus, dass sie einen Freund hat, der genauso leidenschaftlich mit Worten und zurückhaltend mit Taten ist wie sie, und einmal mehr kehrt er allein in sein Hotel zurück. Er hatte sich vorgestellt, die Revolutionäre würden alle zusammen in einem besetzten Haus oder einem heimlichen Unterschlupf leben, nicht jeder für sich in einer kleinen Wohnung, in die man die anderen bestenfalls zum Kaffee einlädt. Trotzdem sieht er Carol und ihre Freunde wieder: Es ist immerhin eine Gruppe, eine Familie, und er hat ein quälendes Bedürfnis nach einer Familie, und das geht so weit, dass er sich im Park, als er die Hare Krishnas ihre Schellen und Tamburine schütteln sieht und im Sprechgesang ihren Blödsinn singen hört, beim Gedanken ertappt, es wäre vielleicht gar nicht schlecht, zu ihnen zu gehören. Er geht zu den Versammlungen der Arbeiterpartei und willigt ein, Flugblätter zu verteilen. Carol leiht ihm ihre Werkausgabe von Trotzki, und dieser gefällt ihm tatsächlich immer besser. Es gefällt ihm, dass Trotzki ohne Umschweife erklärt: »Es lebe der Bürgerkrieg!« Dass er das Gerede der Weicheier und Prediger vom heiligen Wert menschlichen Lebens verachtet. Dass er sagt, per definitionem hätten die Sieger recht und die Besiegten unrecht, und letztere gehörten auf den Abfallhaufen der Geschichte. Endlich einmal männliche Worte! Und noch mehr gefällt ihm jene Geschichte, die der Alte von der Russkoje Delo erzählte: dass derjenige, der so redete, in wenigen Monaten vom Status des hungerleidenden Emigranten in New York zu dem des Oberbefehlshabers der Roten Armee aufstieg und mit dieser in einem Panzerwagen von einer Front zur nächsten rollte. Das ist ein Schicksal, wie es Eduard vorschwebt, und ein solches wird ihm mit diesen Schlappschwänzen von amerikanischen Trotzkisten wohl kaum anheimfallen, die jederzeit bereit sind, von den Rechten unterdrückter Minderheiten und politischer Häftlinge zu labern, aber panische Angst haben vor der Straße, den Randbezirken und den wirklichen

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