Limonow (German Edition)
Armen.
So gern Eduard sich auch einer Gemeinschaft anschließen würde, er hat genug von den Trotzkisten. Und da er auch von den russischen Emigranten genug hat, trägt er seinen Koffer von deren Hauptquartier, dem Hotel Winslow, zum Hotel Embassy, das zwar noch erbärmlicher ist, sofern das möglich ist, aber ausschließlich von schwarzen Drogensüchtigen und Prostituierten beiderlei Geschlechts frequentiert wird, und die hält Eduard für eleganter. Er ist der einzige Weiße, aber er fällt nicht aus dem Rahmen, denn, wie Carol bemerkte – aus deren Mund es allerdings nicht wie ein Kompliment klang –, er kleidet sich wie ein Neger. Sobald ihm der Umzug irgendeines Rabbiners ein paar Dollar einbringt, investiert er sie in Klamotten, aus zweiter Hand zwar, dafür aber auffällig: Seine weißen und rosafarbenen Anzüge, seine Hemden mit Spitzenjabots, seine Jacken aus strukturiertem lila Samt und seine Stiefeletten mit zweifarbigen Absätzen verhelfen ihm bei seinen Nachbarn zu Ansehen. Und – so trägt ihm der letzte seiner Getreuen, Lionja Kossogor, zu, denn er weiß, dass er Eduard damit eine Freude macht – die Gerüchteküche der Emigranten brodelt. Man hatte ihn für einen Schwulen, einen Tschekisten und einen Selbstmörder gehalten; jetzt erzählt man sich, er lebe mit zwei schwarzen Nutten zusammen und sei ihr Zuhälter.
Sein Fenster im Embassy blickt aufs Dach eines kleinen Hauses in der Columbus Avenue, das sich Gennadi Schmakow mit zwei Tänzern teilt – beide homosexuell wie er. Schmakow war in Leningrad der beste Freund Brodskys, und dieser spricht in seinen Interview-Büchern mit der größten Warmherzigkeit von ihm. Als großzügiger, gebildeter Mensch, der Klatsch und Tratsch liebt und sowohl fünf Sprachen spricht als auch fünfzig Ballette auswendig kennt, ist er so etwas wie der Prototyp einer leidenschaftlich verrückten Tanz- und Opernliebhaberin, und Brodsky und Limonow, die in diesem Punkt ausnahmsweise einmal übereinstimmen, schätzen ihn umso mehr, als er aus einer fürchterlich hinterwäldlerischen Familie im Ural stammt. Laut Brodsky stellt das eine Regel dar: Nur ein Provinzling hat das Zeug zum wahren Dandy.
Schmakow, der in New York weniger gefragt ist als seine berühmten Freunde Brodsky und der Startänzer Michail Baryshnikov, lebt hier in deren Windschatten, profitiert von ihren Beziehungen und erhält dank ihnen Aufträge für Übersetzungen und Artikel über die großen russischen Choreographen. Eduard ist ein gebranntes Kind, was diese übermäßig schillernde Welt betrifft, in welcher er, der es auf die Hauptrollen abgesehen hat, sich auf die eines Statisten herabgestuft sieht, doch Schmakow und seine beiden Mitbewohner sind nur Satelliten der Stars und als solche weniger einschüchternd, und Eduard muss nur die Straße überqueren, um bei ihnen zu jeder Tages- und Nachtzeit eine russische Gastfreundschaft und Großzügigkeit zu finden, die ihn wärmt, wenn er die Einsamkeit nicht mehr aushält. Sie garen kleine Gerichte für ihn – Schmakow ist ein ausgezeichneter Koch –, verhätscheln und trösten ihn, sagen ihm, er sei süß und begehrenswert, kurz, sie schenken ihm die ganze Sanftheit, die er sich von einer homosexuellen Beziehung erhoffte, ohne dafür mit jemandem ins Bett steigen zu müssen. »Wie bei Goldlöckchen und den drei Bären«, scherzt Schmakow, während er den Kulebjak aufschneidet.
Eduards Vertrauen ist so groß, dass Schmakow der erste ist, dem er das Manuskript von Ich bin’s, Editschka (deutsch: Fuck off, Amerika ) zu lesen gibt, das Buch, das er im Sommer auf dem Rasen des Central Parks geschrieben hat. Und Schmakow ist hin und weg. Oder jedenfalls beeindruckt. Er findet Editschka schrecklich boshaft, aber boshaft wie Raskolnikow in Schuld und Sühne , im Übrigen beginnt er, ihn Rodion zu nennen – bei Raskolnikows Vornamen – und sein Buch »Ich bin’s, Rodionka«. Dieser Ästhet und Mann von Geschmack findet außerdem, dass der kleine Dreckskerl von all den Talenten der russischen Emigration der einzig wirklich zeitgenössische ist. Nabokov ist ein großer Künstler, aber ein Universitätsprofessor, ein Gott des Parnass und gleichzeitig ein heuchlerisches Schwein. »Und selbst Joseph …«, sagt Schmakow und senkt die Stimme, als erschrecke er selbst über seine Blasphemie, denn er verdankt Brodsky alles, ohne Brodsky wäre er nichts in New York: »Joseph ist ein Genie, aber ein Genie von der Art T. S. Eliots oder seines
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