Limonow (German Edition)
trank und natürlich Mädchen ins Haus schleppte, die er irgendwo und manchmal gleich zu zweit aufgegabelt hatte und die er bumste oder ihnen in dem großen venezianischen Spiegel, der genau in der richtigen Neigung über dem King size -Bett hing, beim Bumsen zuschaute, während er ihnen weismachte, er sei, wenn schon nicht der Hausherr, dann zumindest einer seiner Freunde, und zwar ein diesem ebenbürtiger. Nun gut. Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube nicht, dass diese Übertretungen Steven wahnsinnig irritiert haben dürften. Denn ich denke, aber vielleicht täusche ich mich auch in diesem Punkt, dass alle Hausangestellten mehr oder weniger davon träumen, es im Bett der Herrschaften zu treiben, dass einige es auch tun, und dass Leute, die Bedienstete anstellen, sofern sie keine Idioten sind, es auch wissen, aber darüber hinwegsehen. Hauptsache, danach ist alles wieder schön aufgeräumt und die Laken drehen sich in der Waschmaschine – und diesbezüglich konnte man sich auf Eduard verlassen.
Nein, was Steven tatsächlich bestürzt haben musste, war nicht, was sein Diener in seiner Abwesenheit tat, sondern was er in seiner Anwesenheit dachte.
Steven war nicht so naiv sich einzubilden, dass der russische Dichter ihn liebte. Vielleicht glaubte er, dass Eduard ihn mochte , und in der Tat mochte er ihn, Eduard fand ihn weder dumm noch hassenswert. Er hatte nichts persönlich gegen Steven. Aber er hielt es mit ihm wie der Muschik, der, während er dem Junker treu zu Diensten ist, auf den für ihn günstigen Moment wartet, und wenn dieser gekommen ist, durch die große Pforte des schönen Anwesens voller Kunstgegenstände tritt, die Kunstgegenstände des Junkers plündert, seine Frau vergewaltigt, den Junker zu Boden wirft und ihn, während er triumphierend dabei lacht, mit Fußtritten durchbläut. Stevens Großmutter hatte ihm die Fassungslosigkeit der Adligen im Ancien Régime beschrieben, als sie ihre so braven und so ergebenen treuen Wanjas, die ihre Kinder hatten zur Welt kommen sehen und immer so freundlich zu ihnen waren, derart wüten sahen; und Steven war wohl seinerseits fassungslos, als er das Buch seines ehemaligen Dieners las. Fast zwei Jahre lang hatte er Umgang mit diesem sanftmütigen, lächelnden, sympathischen Mann gehabt, ohne ihm zu misstrauen, während dieser in der Tiefe seiner Seele sein Feind war.
Ich versuche mir vorzustellen, wie Steven liest und an den Tag erinnert wird – er hatte ihn vollkommen vergessen –, als er seinen Diener herunterputzte, weil eine Hose nicht rechtzeitig aus der Reinigung zurückgekommen war. Der andere hatte die Sache mit blassem Gesicht geschluckt und sich hinter seinem unbewegten Mongolen-Ausdruck verschanzt. Eine Stunde später entschuldigte sich Steven, der Vorfall war erledigt und man lachte darüber – oder wenigstens er. Doch ahnte er nicht, dass sein Diener, hätte der Disput auch nur wenige Sekunden länger gedauert, in die Küche gegangen wäre, aus einer Schublade das Tranchiermesser gezogen hätte und ihm wie einem Ferkel von einem Ohr zum anderen die Gurgel aufgeschlitzt hätte (jedenfalls behauptet er das).
Und erst der Tag des Empfangs bei dem hohen UNO -Funktionär! Er wohnte im Haus nebenan, und Steven ging als Nachbar auf einen Sprung hinüber. Steven trank Champagner in dem von Windlichtern erleuchteten Garten und unterhielt sich mit Diplomaten und Diplomatenfrauen, congressmen und einigen afrikanischen Staatschefs. Was er nicht ahnte – wie auch – war, dass sein Diener sie oben aus seiner Dachluke heraus beobachtete und dass ihn diese Party der Mächtigen, zu der er niemals eine Chance haben würde, eingeladen zu sein, in eine solche Rage versetzte, dass er in den Keller ging, das Jagdgewehr seines Herrn holte, es aus seiner Hülle nahm, lud und begann, einen Gast nach dem anderen anzuvisieren. Einen erkannte er wieder, er hatte ihn einmal im Fernsehen gesehen: Es war der UNO -Generalsekretär Kurt Waldheim – jener, dessen Nazi-Vergangenheit man zwanzig Jahre später ausgraben sollte. Steven wechselte an diesem Abend ein paar Worte mit ihm. Während er mit ihm sprach, legte Eduard auf sie an. Als die beiden sich voneinander entfernten, folgte Eduard Waldheim mit dem kleinen Fadenkreuz seines Visiers von Gruppe zu Gruppe. Sein Finger spannte sich um den Abzug. Die Versuchung war fürchterlich groß. Wenn er abdrücken würde, wäre er von einem Tag auf den anderen berühmt. Alles, was er je geschrieben hatte, würde
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