Limonow (German Edition)
dem leeren Wohnzimmer sitzen. Der Regen peitscht in Böen herab, so heftig, dass er seitlich an die Scheiben schlägt, wie in einem Flugzeug. Er sagt sich: Dieses Mal ist es aus. Er hat es versucht, und er ist gescheitert. Er wird ein Prolo bleiben, der Löcher in den Beton bohrt, in der Nebensaison die Häuser der Reichen anstreicht und in Pornomagazinen blättert. Er wird sterben, ohne dass irgendjemand erfahren haben wird, wer er war.
Es kommt mir vor, als hätte ich diese Szene schon einmal geschrieben. Bei einer frei erfundenen Geschichte muss man sich entscheiden: Der Held kann zwar einmal an einen Tiefpunkt kommen – es empfiehlt sich sogar, dass er das tut –, aber ein zweites Mal wäre zu viel, da lauert die Wiederholung. In Wirklichkeit ist Eduard mehrere Male ganz unten gewesen, glaube ich. Er war mehrere Male am Ende, tief verzweifelt und ohne jede Perspektive, und – das ist ein Zug an ihm, den ich bewundere – er ist immer wieder aufgestanden, er hat sich noch einmal aufgemacht und sich immer wieder mit der Idee getröstet, wenn man beschlossen hat, das Leben eines Abenteurers zu führen, ist das eben der Preis, den man dafür zahlt: verloren zu sein, vollkommen einsam und am Ende seiner Kräfte. Als Elena ihn verließ, bestand seine Überlebenstaktik darin, sich auf den Grund sinken zu lassen: in die Not, auf die Straße, in wilde Fickereien, und er hatte sie als mögliche Erfahrungen unter vielen betrachtet. Dieses Mal kommt ihm eine andere Idee. Jenny wird bald zu ihrem Verlobten nach Kalifornien ziehen, und Steven, der untröstlich darüber ist, sie zu verlieren, hat noch keinen Ersatz gefunden. Er, Eduard, hat monatelang die Rolle eines Haushaltsgehilfen gespielt: Er reparierte Tischbeine, ölte Gartengeräte oder kochte einen Borschtsch , der von allen Gästen mit Lobeshymnen bedacht wurde. Er kennt das Haus in- und auswendig. Und vor allem ist Steven ein Snob: Die Vorstellung, einen russischen Dichter als Butler zu haben, wird ihn entzücken.
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Wie vorauszusehen war, ist Steven von der Idee begeistert, und nicht nur von der Idee, denn Eduard erweist sich als ein Musterbeispiel von Butler: der haitianischen Putzfrau gegenüber anspruchsvoll und auf gutem Fuß mit dem etwas schwierigen Sekretär. Misstrauisch gegenüber jedem, der an der Tür klingelt, aber fähig, ganz natürlich von der größten Zurückhaltung zum größten Respekt zu wechseln, wenn sich der Fremde als Bekannter herausstellen sollte. Locker im Umgang mit Lieferanten. Darauf bedacht, sich bei Ottomanelli, der teuersten Metzgerei von New York, die besten Stücke reservieren zu lassen. Ein exzellenter Koch nicht nur von Gerichten wie Borschtsch oder Bœuf Stroganoff , sondern auch dieser vitaminreichen Gemüsesorten, wie sie die Reichen lieben: Fenchel, Brokkoli, Rucola, von deren Existenz dieser Kartoffel-und-Kohl-Esser vor Betreten dieses Hauses noch nie gehört hatte. Vertrauenswürdig genug, um 10000 Dollar in bar von der Bank abzuholen. In jeder Hinsicht wachsam, ohne auch nur eine der Vorlieben und Gewohnheiten seines Herrn aus dem Auge zu verlieren. Ein Diener, der den Whisky genau richtig temperiert einschenkt. Der diskret wegschaut, wenn eine nackte Frau das Badezimmer verlässt. Der sich auf seine Aufgaben beschränkt, aber gleichzeitig erahnt, bei welchen Gästen es angebracht sein könnte, unter seiner Livreejacke ein T-Shirt mit dem Konterfei von Che Guevara zur Schau zu stellen und sich am Gespräch zu beteiligen. Kurzum, eine Perle. Stevens Freunde beneiden ihn, und in ganz Manhattan spricht man von seinen Qualitäten.
Das Ganze dauert ein Jahr; dann nimmt ein französischer Verleger Eduards Roman an, und Eduard verschwindet mit dem Segen seines zu Tränen gerührten ehemaligen Chefs nach Paris. Bald darauf werden seine Bücher auch in Amerika übersetzt und von Verlegern publiziert, die diese zuvor abgelehnt hatten, und ich versuche mir gerade vorzustellen, was Steven gedacht haben muss, als er His Servant’s Story las, das 1983 bei Doubleday erschien.
Was erfuhr er darin? Zunächst einmal, dass sein mustergültiger Butler, sobald er selbst außer Reichweite war, aus seiner Dachwohnung nach unten stieg, um den master’s bedroom in der Beletage in Beschlag zu nehmen. Dass er sich in den Seidenlaken seines Herrn räkelte, in seiner Badewanne Joints rauchte, seine Anzüge anprobierte und barfuß auf seinem flauschigen Teppichboden herumlief. Dass er seine Schubladen durchwühlte, seinen Château-Margaux
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