Limonow (German Edition)
Ferlinghettis Frau, die an seinen Lippen klebt.
»Von jedem etwas«, antwortet er lässig.
»Von jedem etwas! Großartig!«
In dem Moment, da sie sich angeheitert und entzückt voneinander verabschieden, scheint die Veröffentlichung nur noch eine Formalität zu sein. Der Schock ist umso größer, als das Manuskript einen Monat später mit einem Brief von Ferlinghetti aus San Francisco zurückkommt, in dem er es weder eindeutig annimmt noch ablehnt, sondern einen neuen Schluss vorschlägt, eine tragische Wendung: Editschka müsste einen politischen Mord begehen, wie De Niro in Taxi Driver .
Eduard schüttelt fassungslos den Kopf. Ferlinghetti hat nichts begriffen. Weiß Gott, was er sich dabei gedacht hat. Eduard hätte diesen Schluss ja fast geliefert, als er Waldheim im Visier hatte. Und wenn er nicht abgedrückt hat, dann doch deshalb, weil er noch die Hoffnung hegt, irgendwie anders durchzukommen. Die Scheißjobs, die Absagen der Verleger, die Einsamkeit, Mädchen der Kategorie E: All das steckt er doch nur ein, weil er fest damit rechnet, eines Tages durch die Hauptpforte in die Salons der Reichen zu treten, ihre jungfräulichen Töchter zu ficken und dafür obendrein ein Dankeschön zu bekommen. Er weiß sehr genau, was im Kopf eines losers vorgeht, der bis zum Äußersten gedrängt wird, der zur Waffe greift und in die Menge schießt, aber weil er die Fähigkeit besitzt, darüber zu schreiben, ist er nicht dieser loser , und es kommt gar nicht in Frage, dass sein Double auf dem Papier zu einem wird.
Der Brief endet mit folgendem Postskriptum: »Ist denn der Held Ihres Buches heute, da er als Gegenleistung für eine nicht besonders anstrengende Arbeit in einem hochherrschaftlichen Haus logiert und in gewissem Maß von den Vorzügen der bürgerlichen Gesellschaft profitiert, nicht etwas nachsichtiger mit dieser Gesellschaft geworden? Sieht er sie nicht mit einem gelasseneren Auge?«
Was für ein Arschloch. Verdammt, was für ein Arschloch.
Eine Fehlkalkulation, ein Todesstoß, noch einmal scheint alles aus zu sein; aber wie es so ist, geht es doch weiter. In Paris erzählt jemand Jean-Jacques Pauvert von Eduards Buch; Eduard weiß noch nicht, dass dieser ein mindestens so legendärer und verruchter Verleger ist wie Ferlinghetti: jener der Surrealisten, von de Sade und der Geschichte der O , zehnmal wegen Sittenwidrigkeit oder Verstoß gegen die Würde des Staatsoberhaupts verurteilt und zehnmal fröhlich wieder aufgetaucht. Aufgrund der Lektüre einiger weniger übersetzter Kapitel ist Pauvert Feuer und Flamme und entscheidet sich für eine Veröffentlichung. Sie verkompliziert sich etwas, denn sein Verlag geht wieder einmal Pleite und muss im Schoß eines anderen Zuflucht suchen, aber das ist egal; was zählt, ist, dass Ich bin’s, Editschka im Herbst 1980 unter dem aufsehenerregenden Titel erscheint, den Pauvert für die französische Ausgabe gefunden hat: Ein russischer Dichter bevorzugt große Neger.
IV
Paris,
1980–1989
1
Als Limonow in Paris ankam, kehrte ich selbst gerade von einem zweijährigen Aufenthalt in Indonesien zurück. Untertrieben gesagt hatte ich bis zu dieser Reise kein besonders abenteuerlustiges Leben geführt. Ich war ein braves Kind gewesen, dann ein übertrieben kultivierter Jugendlicher. Meine Schwester Nathalie, die in der Schule die Aufgabe bekam: »Beschreibt eure Familie«, zeichnete von mir folgendes Portrait: »Mein Bruder ist sehr ernst, er macht nie Blödsinn und liest den ganzen Tag lang Erwachsenenbücher.« Mit sechzehn Jahren hatte ich einen Freundeskreis, der sich wie ich für klassische Musik begeisterte. Wir verbrachten Stunden damit, verschiedene Versionen eines Mozart- Quintetts oder einer Wagner-Oper zu vergleichen, und äfften die Kultsendung von France Musique »la Tribune des critiques de disques« nach, das Forum der Plattenkritiker, deren Teilnehmer uns mit ihrer Gelehrtheit, ihrer sturen Beharrlichkeit und mit dem Vergnügen entzückten, das sie offensichtlich daran empfanden, in einer Welt von Barbaren, die binären Rhythmen erlegen waren, eine kleine, ironische, gallige Enklave der Zivilisation zu bilden. Diejenigen, die sich an die heftigen Wortwechsel zwischen Jacques Bourgeois und Antoine Goléa erinnern, werden mich verstehen. Als Schüler des Gymnasiums Janson-de-Sailly und später als Student der Sciences Po Paris verbrachte ich einen Großteil der sechziger Jahre damit, Rock zu verachten, nicht zu tanzen, mich zu betrinken, um selbstsicherer
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