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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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Fliegen sind gelöst, und sie laden Eduard ein, mit ihnen zu trinken. Nach der Rückkehr vom Russian Samovar hat Jewtuschenko die erste Seite des Manuskripts gelesen, das Eduard ihm folgsam und gut sichtbar ins Zimmer gelegt hatte, auf dem Klositz dann die zweite, und darauf noch weitere fünfzig – und danach war an Schlafen nicht mehr zu denken. Er zog Steven in die Küche, um noch weiter zu trinken und seine Entdeckung zu feiern, und nun wiederholt er mit schwerer Zunge, aber enthusiastisch: »It’s not a good book, my friend, it’s a great book! A fucking great book!«  – Jewtuschenko sagt fucking lieber zweimal als einmal, denn er findet, es sei kosmopolitisch und freizügig, so zu reden. Er verspricht, sich für seine Veröffentlichung einzusetzen. Steven, der, wenn er getrunken hat, sentimental wird wie der Superreiche mit Zylinder in Lichter der Großstadt , schließt den jungen Hoffnungsträger gerührt in seine Arme. Man stößt immer wieder auf das Meisterwerk an, und unser Eduard schöpft zwar wieder Hoffnung und gibt sich ein wenig dem allgemeinen Jubel hin, denkt aber nichtsdestotrotz in seinem tiefsten, finsteren Inneren: Ein amerikanischer Milliardär und ein offizieller sowjetischer Dichter gehören derselben Klasse an, nämlich der Herrenklasse, und er, Limonow, der tausendmal mehr Talent und Energie besitzt, wird nie zu dieser gehören; man trinkt auf sein Genie, aber er wird es sein, der ihren Mist aufräumt, wenn sie endlich schlafen gegangen sein werden; und am Tag der Großen Abrechnung wird man sich fest darauf verlassen können, dass er sie nicht verfehlt.
    Nicht ohne Umarmungen und Küsse – die allerdings in nüchternem Zustand weniger herzlich ausfallen – reisen Steven und Jewtuschenko zum Skifahren nach Colorado. Einige Wochen vergehen ohne Neuigkeiten: Eduard hatte seine Zweifel wohl zu Recht gehegt. Da erhält er einen Anruf von einem Typ namens Lawrence Ferlinghetti. Der Name sagt ihm etwas: Ferlinghetti ist selber Dichter, und er ist der legendäre Verleger der Beatniks in San Francisco. Sein Freund Jewgeni habe ihm von diesem »großartigen Buch« erzählt, es sei eines der besten in russischer Sprache seit dem Krieg – ein Punkt für Jewtuschenko – und er möchte es lesen. Er sei gerade auf Durchreise in New York, wo er bei seinem Freund Allen Ginsberg wohne – dieser Mann hat nur berühmte Freunde. Da Steven nicht da ist, lädt Eduard ihn zum Mittagessen »nach Hause« ein.
    Ferlinghetti ist ein älterer, kahlköpfiger Typ mit Bart und eine recht stattliche Erscheinung. Seine Frau: auch nicht schlecht. Und auch wenn sie schon Ähnliches gesehen haben mögen, macht sie der Luxus am Sutton Place doch sprachlos. Jewtuschenko scheint ihnen nicht erzählt zu haben, womit der Dichter seine Brötchen verdient, stattdessen muss er sich ausführlich über die besonders trashigen Passagen seines Buchs ausgelassen haben, denn die beiden fragen sich offensichtlich – ohne es zu wagen, Eduard darauf anzusprechen –, wie dieser junge Mann, den man ihnen als halben Penner beschrieben hat, der mit Negern in Harlem schläft, einen solchen Ort bewohnen kann. Hat er einen Milliardär zum Liebhaber? Ist er Milliardär und geistert durch die Armenviertel von New York wie der Kalif Haroun al-Rachid seinerzeit durch die von Bagdad, verkleidet als armer Schlucker? Ihre beiden kultivierten Gesichter sind ein einziges Fragezeichen. Eduard genießt das Missverständnis, und als er sich damit abfindet, es aufklären zu müssen, amüsieren sich Ferlinghetti und seine Frau zu seiner großen Überraschung noch mehr. Denn statt ernüchtert zu sein oder ihn plötzlich von oben herab zu behandeln, brechen die beiden in schallendes Gelächter aus, schwärmen von dem Streich, den er ihnen gespielt hat, und behaupten, jetzt noch verblüffter zu sein. Was für ein Hallodri! Was für ein Abenteurer! Daraufhin sieht auch Eduard sich nicht mehr als Lakaien, sondern als Schriftsteller à la Jack London, der unter hundert pittoresken Brotjobs wie Matrose, Goldsucher oder Taschendieb auch den des Dieners ausgeübt hat. Zum ersten Mal spielt er vor einem Kennerpublikum diese Rolle, und er erweist sich als exzellent darin: entspannt, zynisch, auf den Wellen des Lebens surfend. Ein Triumph. Man bittet ihn, von seinen Abenteuern zu erzählen, und er errät instinktiv, dass diesem neuen Publikum die Gaunertour besser gefällt als die Dissidententour. »Aber sind Sie denn letztendlich homo?«, fragt ihn

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