Limonow (German Edition)
zu wirken, und davon zu träumen, ein großer Schriftsteller zu werden. Unterdessen war ich eine Art Wunderkind der Filmkritik geworden und veröffentlichte in der Zeitschrift Positifs lange Artikel über Fantasy-Filme oder über Tarkowski – sowie über von mir für schlecht befundene Filme knappgehaltene Notizen, deren Gemeinheit mich heute erröten lässt. Politisch tendierte ich klar nach rechts. Wenn man mich gefragt hätte, warum, hätte ich wahrscheinlich geantwortet: aus Dandytum, aus Lust, einer Minderheit anzugehören, aus Verweigerung des Herdentriebs. Ich wäre aus allen Wolken gefallen, wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich als Leser von Marcel Aymé und als Verteidiger dessen, wofür man damals die Bezeichnung »political correct« noch nicht kannte, schlicht die Ansichten meiner Familie reproduzierte, und zwar mit einer Gefü gigkeit, die ein Musterbeispiel für die Thesen von Pierre Bourdieu abgegeben hätte.
Es ärgert mich, mit so wenig Nachsicht von dem jungen Mann zu sprechen, der ich damals gewesen bin. Ich würde ihn gern mögen und mich mit ihm aussöhnen, doch ich schaffe es nicht. Mir scheint, ich hatte vor allem Angst: vor dem Leben, den anderen, vor mir selbst; und die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass diese Angst mich vollkommen lähmte, war, diese ironische, blasierte Defensivhaltung einzunehmen und jede Art von Enthusiasmus oder Engagement mit dem Grinsen eines Typen zu quittieren, der auf nichts reinfällt und mit allen Wasser gewaschen ist, ohne sich jemals nass gemacht zu haben.
Schließlich geriet ich doch noch ins Strudeln, und zu meinem großen Glück sogar mit jemandem zusammen. Muriel, die ich in der Sciences Po kennengelernt hatte, war ein sehr hübsches Mädchen mit der Figur eines Playboy -Models und so angezogen, dass diese Tatsache nicht zu übersehen war. In der Rue Saint-Guillaume fiel sie aus dem Rahmen: Dort waren damals die Studenten beiderlei Geschlechts in Lodenmäntel gekleidet, zu denen die Mädchen passende Hermès-Karos trugen und die Jungen Hemden, deren Kragen man unter der Krawatte mit einer goldenen Spange schloss. Ich selbst trug, wie ich zu meiner Verteidigung sagen muss, ausgetretene Clarks und eine Lederjacke; ich war ein fauler, spöttischer, wenig motivierter Student, der den Null-Bock-Ansichten des Gymnasiums treu geblieben war, doch in einer Hochschule, in der jeder sich selbst bereits Frankreich regieren sah, waren diese natürlich nicht mehr gefragt. Ich schrieb Science-Fiction-Erzählungen und Filmkritiken und wurde in dieser Funktion zu privaten Filmvorführungen eingeladen, zu denen ich Mädchen mitnehmen konnte; und ich glaube, diese Mischung aus Künstler- und Bohemien-Zügen und meine allgemeine Tendenz zur Verweigerung war es, die mir trotz meiner Schüchternheit dazu verhalf, das attraktivste und zugleich am wenigsten gesellschaftsfähige Mädchen meines Jahrgangs für mich einzunehmen.
Meine Freunde unter den Liebhabern für klassische Musik wie auch die Studenten von Sciences Po fanden Muriel etwas vulgär. Sie redete laut, lachte schallend, schmückte ihre Sätze mit »also ich meine« und »irgendwie« aus und drehte Joints mit einer kleinen Metallmaschine, die sie mir später schenkte und die ich immer noch besitze, an deren Boden sie mit einem Marker geschrieben hatte: Don’t forget . Ich öffne sie nie, ohne mit Dankbarkeit an Muriel zu denken und mich zu fragen, welchen Weg mein Leben wohl genommen hätte, wenn wir länger zusammengeblieben wären. Sie war ein echter Hippie, und sie machte auch aus mir einen echten Hippie. Nach einer Pubertät, die ich damit zugebracht hatte, rechte Schriftsteller der Zwischenkriegszeit zu lesen und davon zu träumen, eines Tages zum Festival von Bayreuth zu fahren, fand ich mich Gras rauchend in einem abgelegenen Bauernhof in der Drôme wieder, hörte sphärische Musik, warf die drei Münzen, mit denen man das I-Ging befragt, auf fransenbesetzte Kelims und liebte vor allem ein lustiges Mädchen ohne jede Hinterhältigkeit, die von morgens bis abends splitterfasernackt herumlief und mir das Schauspiel und den Genuss eines Körpers von fast übernatürlicher Pracht bot – und das war für einen Zwanzigjährigen wie mich mit einer Herkunft wie der meinen das Beste, was mir passieren konnte.
Zu dieser Zeit war der Militärdienst obligatorisch, und für junge Bürgerliche wie mich, die weder einfache Soldaten noch Offiziersschüler der Reserve werden wollten, gab es nur zwei
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