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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Eingangspult und sah so abweisend aus wie eh und je. Ich drängte Annie an ihr vorbei, ohne mich zu bedanken, aus Angst, sie würde Annie gegenüber das Schlachtfeld erwähnen.
    Ich schlug vor, ins Zentrum zu gehen und etwas zu essen.
    »Ich habe auf dem Hinweg einen Drugstore mit einem Siphon gesehen, ob du’s glaubst oder nicht«, sagte ich.
    »Ich habe keinen großen Hunger«, sagte Annie.
    »Nun, dann trinken wir etwas. Eine Limonade oder so.«
    Der Drugstore hatte tatsächlich eine Getränkebar, auch wenn sie ziemlich heruntergekommen wirkte. Die ausgebleichten Abbildungen von Eiskrem, gegrillten Käsesandwiches und Eis mit Wurzelbier sahen aus, als hingen sie schon seit dem Bürgerkrieg da, und es war niemand hinter der Theke. Ein glatzköpfiger Apotheker ordnete hinten in einer Ecke Medikamente ein, doch er sah auch nicht auf, als wir uns auf zwei Plastikhockern niederließen.
    »Ich werde ihn mal fragen, ob es etwas zu trinken gibt«, sagte ich und ging nach hinten, aber ehe ich dort angekommen war, klingelte das Telefon, und er nahm den Hörer ab. Ich wartete darauf, daß er aufschauen würde, und las derweil die Arzneietiketten. Die Hälfte des Regals war Schlafmitteln vorbehalten: Sominex, Nytol, Sleep-Eze. Richard würde sich sofort wie zu Hause gefühlt haben.
    Der Apotheker legte seine Hand auf die Sprechmuschel und flüsterte: »Komme gleich zu Ihnen.«
    Ich nickte und ging wieder nach vorne: Annie betrachtete den Postkartenstand neben der Theke. Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, daß sie keine Karten von Arlington hatten.
    »Der Apotheker meint, er kümmert sich um uns, sobald er mit dem Telefonieren fertig ist.« Ich beugte mich über ihre Schulter, um zu sehen, welche Postkarte sie in der Hand hatte. Es war eine Fotografie von Lees Grab bei Lexington. Die Marmorstatue stellte den schlafenden Lee auf seinem Feldbett dar, mit Paradeuniform und Stiefeln und einer Decke, die um ihn herumdrapiert war. Ein Arm lag an seiner Seite, der andere quer über seiner Brust. »Ich glaube, ich weiß, wo die Träume herkommen«, sagte ich. »Die Mädchen auf der Veranda waren Katherine Stiles und Annie Lee.«
    Sie stellte die Postkarte unendlich behutsam in den Ständer zurück. »Annie Lee?«
    »Lees Tochter. Du hattest recht damit, daß es eine seiner Töchter war. Annie wollte ihre Freundin nicht gehen lassen. Beide Mädchen weinten, und Lee sagte zu ihnen: ›Keine Tränen in Arlington.‹«
    Annie nahm an der Theke Platz. »Keine Tränen«, sagte sie und legte ihre Hände auf den Freeman, eine Hand über der anderen.
    »Siehst du nicht, was das bedeutet? Die Träume sind nicht für dich gedacht. Lee dachte an seine Tochter, und durch irgendeine Laune der Zeit wurde die Botschaft irrtümlich an dich weitergeleitet. Wie, weiß ich nicht. Vielleicht hast du tief im Kollektiven Unbewußten jemand deinen Namen rufen hören oder etwas in der Art.«
    »Irrtümlich«, sagte Annie und schüttelte den Kopf. »Er versucht mir etwas zu sagen. Das ist die Bedeutung des Zettels am Ärmel des Soldaten, nur kann ich ihn nicht lesen. Es handelt sich um irgendeine Art von Botschaft.«
    »Aber nicht für dich«, sagte ich. »Du hattest in mehr als einer Beziehung recht, als du sagtest, daß es sich nicht um deine Träume handeln würde. Es sind Annie Lees Träume. Ihr Vater hat sie ihr geschickt.«
    »In allen Träumen geht es um Botschaften, nur nicht im letzten«, sagte Annie. »Da ist die Botschaft, die der Unionssoldat bei sich hatte, als er bei Fredericksburg gefangengenommen wurde, und die Nachricht, daß Jacksons Arm amputiert wurde. Und Sonderbefehl 191.«
    »Und der Grund, weshalb du die Botschaften nicht entziffern kannst, ist, weil sie nicht für dich bestimmt sind. Sie waren für Annie Lee bestimmt. Sie hätte Katherine Stiles erkannt und sich an diesen Tag in Arlington und Tom Tita erinnert. Es sind ihre Träume, Annie, nicht deine.«
    Der Apotheker eilte herbei, um unsere Bestellung entgegenzunehmen und uns eine lange und verwickelte Geschichte von Lila zu erzählen, die sich normalerweise vorne um die Bedienung kümmerte, sich aber den Fuß gebrochen hatte. »Treibt sich mit Pferden rum, in ihrem Alter«, sagte er, ohne zu erklären, was sie eigentlich angestellt hatte. Er steckte zwei Papierkegel in metallene Halter. »Das hätte sie vorher wissen müssen.« Er preßte Lemonen in die Pappbecher aus. »Sie sind Touristen, nehme ich an.«
    »Sowas Ähnliches«, sagte ich. »Wir bleiben ein paar Tage

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