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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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hier.«
    Er hielt die Becher einzeln unter den Siphon und rührte die Limonade mit einem langen Löffel um. »Schon den Friedhof draußen gesehn?«
    »Friedhof?« sagte Annie.
    »Das Schlachtfeld. Ist jetzt ein Nationalfriedhof. Unionssoldaten. Die Konföderierten sind drüben an der Washington Avenue begraben.« Er schaufelte Eis in die Becher.
    »Wie weit ist es von hier?« fragte Annie.
    »Etwa zwei Meilen. Sie fahren die Caroline Road runter, das ist diese Straße hier, bis Sie zum Lafayette Boulevard kommen«, sagte er und malte mit dem Finger einen Plan auf die schmierige Theke. »Das ist die US 3. Biegen Sie nach rechts auf den Boulevard ein und fahren Sie bis ganz zur Sunken Road hinaus. Sie können es nicht verfehlen.« Das Telefon klingelte. Der Apotheker ließ zwei Lemonenscheiben in die Becher plumpsen, schob sie uns über die Theke zu und eilte nach hinten zum Telefon.
    Ich schälte das Papier von einem Strohhalm ab und steckte ihn in das Eis. Hielt eigentlich jeder in diesem verdammten Nest Aktien am Schlachtfeld von Fredericksburg? Großartig für Ausflüge geeignet. Siebzehntausend Gefallene. Es gibt sogar eine elektrische Karte, mit roten Lämpchen für die tödlich verwundeten Soldaten, blauen für die Erfrorenen. Sie können es gar nicht verfehlen. Fahren Sie über die US 3 zur Sunken Road, wo die Leichen vor der Mauer zehn Fuß hoch gestapelt sind.
    Annie sah immer noch auf die Theke, wo der Apotheker den Plan hingezeichnet hatte. In einer Minute würde sie sagen: »Ich will das Schlachtfeld sehen, Jeff«, oder noch schlimmer: »Ich glaube, wir sollten nach Arlington fahren«, und welche Ausrede wollte ich diesmal benutzen?
    »Glaubst du, sie haben hier Aspirin in diesen kleinen Dosen?« sagte Annie. »Ich hab es heute liegengelassen, und irgendwie tut mir der Kopf weh.«
    »Sicher«, sagte ich. Ich schwang mich vom Hocker und ging nach hinten, um den Apotheker danach zu fragen. Er telefonierte noch immer. »Du solltest doch am besten wissen, daß ich ohne Anweisung des Arztes nichts verschreiben kann, Lila«, sagte er laut. Es entstand eine lange, enttäuschte Pause, während der er das Telefon anstarrte.
    Ich suchte in dem Medizinregal, fand aber keine Dosen. Ich nahm eine Hunderterflasche heraus und brachte sie Annie. »Alles in Ordnung mit dir?« Ich öffnete den Verschluß, fischte den Wattebausch aus Baumwolle heraus und schüttete ihr zwei Tabletten in die Hand. Sie nahm sie mit einem Schluck Limonade. »Willst du zum Gasthof zurück?«
    »Ja«, sagte sie.
    Ich ging zum Apotheker nach hinten und reichte ihm drei Eindollarnoten, wobei ich das Aspirinfläschchen hochhielt, damit er es sehen konnte. »Für dich gerade nicht!« brüllte er Lila an. »Mit deinen Herzbeschwerden?« Ich wartete noch eine Weile. Schließlich blickte er auf und nickte mir zu.
    Annie erwartete mich neben der Tür, die vier Bände Freeman im Arm. »Hier. Laß mich die nehmen«, sagte ich und klemmte sie mir unter den Arm. Ich öffnete ihr die Tür. »Soll ich zum Gasthof zurückgehen und den Wagen holen?«
    »Nein, mir geht’s gut, Jeff, wirklich.« Sie lächelte erschöpft. »Ich glaube, Lee muß wieder einmal an seine Tochter gedacht haben.«
    »Ich kann den Wagen holen«, sagte ich, und dann sah ich den blauen Ford Sedan, dem einen Block weiter eine ältere schwarze Dame entstiegen war und der nun auf uns zukam.
    »Taxi!« rief ich und sprang auf die Straße, als versuchte ich, ein durchgehendes Pferd zu stoppen. »Taxi!«
    Der Taxifahrer fuhr heran und öffnete für uns die Hintertür. Er war mindestens sechzig, mit einer riesigen Zigarre und einem Stoppelbart, der sogar noch schroffer und despektierlicher wirkte als der Brouns. Ich nannte ihm die Adresse des Gasthofs, und er fuhr los.
    »Sie sind Touristen?« fragte er über die Schulter. »Schon das Schlachtfeld gesehen?«

 
10
     
Pickett’s Charge war für Lee der schlimmste Moment des Krieges. Obwohl er seinen Männern gesagt hatte, sie sollten nicht den Mut verlieren, mußte er gewußt haben, daß der Krieg damit verloren war. Die Generäle Garnett und Armistead waren tot: General Kemper war tödlich verwundet, und es hatte in drei Tagen mehr als dreißigtausend Ausfälle gegeben. Selbst wenn die Armee es geschafft hätte, sich nach Virginia in Sicherheit zu bringen, so hätte sie doch nicht mehr die Kraft für eine größere Offensive gehabt. Der lange Rückzug zum Obstgarten begann.
In jener Nacht hatte der erschöpfte Lee abzusteigen versucht und es

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