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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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überraschte Ben, daß er ihn hören konnte. Dreck und Gras und Metallstücke flogen vor dem Wagen hoch, und das Pferd kam hart wieder auf die Vorderfüße und stürzte seitwärts auf Malachi. Ben rannte zu ihm hin. Das ganze Gewicht des Pferdes lag auf seiner Brust. »Ich werd’ dir das Fell gerben, verfluchter Klepper!« sagte Malachi. »Runter von mir!«
    Ben schob seine Hände unter Malachis Schultern und versuchte, ihn herauszuziehen, aber er bekam ihn nicht von der Stelle. Er richtete sich auf und rief dem Jungen zu, er solle herkommen und helfen, doch er konnte ihn nirgendwo sehen. Der Mann mit dem Strohhut hing über der Deichsel des Munitionswagens, seine Arme schwangen gemächlich vor und zurück.
    »Hab Pferde noch nie leiden können«, sagte Malachi mit kräftiger, klarer Stimme, die Ben ohne Mühe verstehen konnte. »So’n scheißgrauer Wallach hat mich in’n Arsch gebissen, als ich noch’n Junge war, und seitdem hat’ ich kein Zutrauen mehr.«
    Ben hielt immer noch die Zügel. Er trat zurück und zerrte daran, und der Kopf des Pferdes bewegte sich ein wenig. Sein Hals sah widernatürlich lang aus, wie er da auf der Erde lag, als hätte er ihn durch sein Zerren gestreckt. Ben versuchte es noch einmal.
    »’n anderer Scheißgaul hatte ein Hufeisen verloren, und ich hab mich drangemacht und guck nach seinem Huf. Kam nicht in Frage, daß er mich den Fuß hochnehmen und nachgucken läßt, also beug ich mich nach vorn, um zu sehen, ob er vielleicht den Huf gespalten hat«, sagte er. Eine Blut- und Schleimblase erschien in seiner Nase. Er schniefte und sprach weiter. »Schlägt mir’n Stück aus dem Gebiß und aus dem, was darunter ist. Hab’ zwei Wochen lang nur Brei gefressen.«
    Ben ließ die Zügel fallen und kniete sich neben Malachi. Er zwängte seine Hände unter die Flanke des Pferdes und versuchte, sie ein wenig anzuheben. »Kannst du dich ein bißchen rausschieben?« fragte er.
    »Du guckst dich immer nach hinten um, ob da nicht so was ankommt, aber ich hätt’ nie gedacht, daß mich’n blöder Gaul von der Seite erwischen tät.« Eine größere Blutblase erschien in seinem Mundwinkel und tröpfelte in seinen Bart.
    »Malachi?« sagte Ben, obwohl er wußte, daß er schon tot war. Er richtete sich auf. Das Kämpfen hatte sich weiter südlich verlagert, Richtung Sharpsburg. Ben konnte jetzt deutlich das Feuer verschiedener Kanonen unterscheiden. Er sah wieder auf Malachi hinunter. Einer seiner Stiefel schaute unter dem Schwanz des Pferdes hervor, und der andere war halb unter seinem Schenkel. Ben kniete sich hin und zog den Stiefel hervor. Malachi trug keine Socken, und auf der Ferse hatte er eine blauschwarze Blase. Ben drehte den Stiefel mit der Oberseite nach unten. Er stellte den Stiefel neben Malachi ab und begann ihm den zweiten auszuziehen.
    »Du da!« sagte ein Mann auf einem Pferd. Es war derselbe Leutnant, der ihnen gesagt hatte, sie sollten die Pferde zurückbringen. Er schwenkte vor Ben seinen Säbel. »Mach, daß du da wegkommst! Welches ist dein Regiment?«
    Der Stiefel kam frei, und Ben richtete sich auf, den Stiefel in der Hand. »Ich habe versucht…«
    »Du hast versucht, dir ein Paar neuer Stiefel zu beschaffen. Geh zu deinem Regiment zurück, bevor ich dich wegen Plünderei über den Haufen schieße!« Er schwenkte den Säbel dicht vor Bens Brust.
    Ben befühlte die Innenseite des Stiefels und zog einen feuchten rechteckigen Zettel heraus. »Sie haben kein Recht, so mit mir zu reden«, sagte er. »Ich wollte ihm nur einen Gefallen tun.« Er kniete sich hin und stopfte das Papier in die Tasche von Malachis Hemd, dann machte er sich den Hügel hinunter auf den Weg in die Richtung, aus der das Schießen kam.
    In der Originalfassung hatte Ben nie herausgefunden, was mit Malachi passiert war. Er war einfach verschwunden, und wie vielen anderen Soldaten bei Antietam und Fredericksburg und Chancellorsville war es ebenso ergangen? »Ist er gefallen?« fragte ich Broun, als ich den ersten Entwurf gelesen hatte.
    »Gefallen? Ach was, nein, ein alter Fuchs wie Malachi war zu gewieft, um zu fallen. Nach Gettysburg flitzte er nach Kalifornien.«
    Broun hatte die Szene umgeschrieben, weil er wütend auf mich war, aber versuchte er mir damit etwas zu sagen? War er Malachi, und quälte er sich mit einem widerspenstigen Assistenten ab, der selbst dann nicht kooperieren wollte, wenn es zu seinem eigenen Besten war? Oder war er Ben, der sich nur nützlich zu machen versuchte und dem damit

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