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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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mit ihnen passiert ist.« Sie sah zu mir auf. »Hatte Lee eine Tochter?«
    »Er hatte mehrere, glaube ich«, sagte ich, erleichtert darüber, daß sie das Thema gewechselt hatte. »Ich weiß von mindestens einer. Agnes, hieß sie, glaube ich.« Ich stand auf. »Mach weiter und iß zu Ende. Ich gehe mein Notizbuch holen, und dann gehen wir zur Bücherei und sehen nach, was wir über Agnes herausfinden können.«
    Ich ging aufs Zimmer zurück und hob die beiden Bände Freeman auf, die neben meinem Bett lagen. Annie hatte den Stuhl neben der Tür stehenlassen. Band Vier lag auf der Sitzfläche. Ich schob den Sessel dorthin, wo er hingehörte, damit das Zimmermädchen nicht glaubte, wir versuchten ihre Möbel zu stehlen, und nahm die Bücher mit.
    Als ich zurückkam, stand Annie an der Kasse und sprach mit der rothaarigen Serviererin. Ich hoffte, sie legte sich nicht wieder für das Schlachtfeld ins Zeug.
    »Das Wetter soll sich heute nachmittag ändern«, sagte die Serviererin. »Es kommt eine große Kaltfront.«
    Gut, dachte ich. Vielleicht werden wir hier eingeschneit.
    Wir gingen zur Bücherei hinüber. Als ich mit meinem Bücherstapel hereinkam, starrte mich die Bibliothekarin an, als dächte sie, ich hätte sie tags zuvor mitgenommen, ohne sie eintragen zu lassen. Annie borgte sich von ihr ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber und sagte, sie wolle wieder runter in die Nachschlageabteilung gehen.
    »Ich bin bei den Biographien, wie gestern«, sagte ich.
    Ich schlug nach unter ›Lee, Töchter von‹. Er hatte außer Agnes noch drei weitere Töchter gehabt: Mary, Ann und Mildred. Da ich nicht wissen konnte, welche von ihnen in dem Traum aufgetreten war, ging ich von dem einzigen Hinweis aus, den ich außerdem noch hatte. Nach einer Stunde Suche unter den Verweisen auf Arlington hatte ich gefunden, was ich gesucht hatte.
    Im Herbst 1858 war Katherine Stiles, eine Freundin aus Georgia, zu Besuch gekommen. Als sie wieder aufbrechen wollte, hatte Lee sie und seine Tochter beide weinend vorgefunden. »Keine Tränen in Arlington!« hatte er zu ihnen gesagt. »Keine Tränen!« Zu seiner Tochter Annie.
    Ich schaute im Index unter ›Lee, Annie Carter (Robert E. Lee, Tochter von)‹ nach und begann die Seitenverweise durchzugehen. Am zweiten März des Jahres 1862 hatte Lee ihr geschrieben: »Meine liebste Annie, während der arbeitsreichen Nachtstunden denke ich an euch alle, an jeden einzelnen und euch alle zusammen, und die Erinnerungen an alles und jedes vertreibt mir während der langen Nacht die Zeit, wenn mich meine sorgenvollen Gedanken schlaflos machen. Doch ich stelle mir immer vor, daß du und Agnes zu dieser Zeit fest schlaft, und daß es im Vergleich dazu belanglos ist, wo die Barrikaden sind oder welche Fortschritte sie am Fluß machen.«
    Da war sie, die Verbindung, nach der ich gesucht hatte. Ich hatte mir alle möglichen komplizierten Gründe dafür ausgedacht, warum Annie die Träume träumte – Richards Medikamente und chemische Ungleichgewichte und Dr. Stones Traumgewitter. Es war mir nie in den Sinn gekommen, daß Annie die Träume einfach deshalb hatte, weil Lee während des Schlafs ihren Namen ausgerufen hatte.
    Die Bibliothekarin mit dem stechenden Blick beugte sich über mich. »Mir ist aufgefallen, daß Sie heute Ihre eigenen Bücher mitgebracht haben«, sagte sie in einem überraschend sanften Tonfall und mit ausgeprägtem Virginia-Akzent. »Ich fürchte, unser Bestand an Materialien über den Bürgerkrieg ist sehr beschränkt. Die meisten Leute erledigen ihre Recherchen in der Bibliothek des Nationalparks.«
    »Im Nationalpark?« sagte ich.
    »Ja. Die Bibliothek liegt draußen beim Schlachtfeld von Fredericksburg. Als ich Sie gestern hier gesehen habe, da habe ich mich gefragt, ob sie davon wissen, aber ich wollte Sie nicht bei der Arbeit stören. Die wichtigsten Quellen befinden sich dort. Wissen Sie, wie Sie dorthin kommen?«
    Ja. Ein Marsch über eine offene Ebene, bis zu einer verteidigten Hügelkette. »Ja. Vielen Dank.« Ich stapelte meine Freeman-Bände. »Wissen Sie zufällig, wann dort geöffnet ist?«
    »Von neun bis um fünf«, sagte sie mit dieser unmöglichen Stimme einer Schönheit des Südens. »Das Schlachtfeld selbst ist bis zu Einbruch der Dunkelheit zugänglich, glaube ich.«
    Ich ging und fand Annie bei den Enzyklopädien, von lauter L’s umgeben. »Ich habe gefunden, was ich brauchte. Machen wir, daß wir hier wegkommen«, sagte ich.
    Die Bibliothekarin stand am

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