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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Tage verantwortlich ist? Broun, erinnerst du dich, Annie?«
    »Ja, natürlich«, sagte Broun und schüttelte ihre Hand.
    »Hallo«, sagte sie ernst. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
    »Es ist kalt hier draußen in der Diele«, sagte ich. »Haben Sie die Heizung nicht angestellt? Laßt uns in den Wintergarten gehen.« Ich nahm Annie beim Arm und führte sie in das Zimmer. »Gut, hier ist es wärmer. Annie, laß mich diesen nassen Mantel nehmen.«
    Broun kam uns nach und blieb in der Tür stehen. »Warum hast du mir nicht gesagt, daß du krank bist, Jeff?« sagte er. »Schon an dem Abend, als du von Springfield zurückgekommen bist, dachte ich mir, daß etwas nicht stimmt. Warum hast du mir nicht gesagt, daß du Brustschmerzen hast? Ich hätte meine Reise abgesagt. Warst du bei einem Arzt?«
    »Ich habe gerade die Untersuchungsergebnisse vom Labor bekommen. Es gibt da nach dem Bericht des Hausarztes ein Problem beim EKG«, hatte Richard gesagt. »Hast du irgendwelche Brustschmerzen bemerkt?« Broun hatte gedacht, die Nachricht beträfe mich, und war herbeigeeilt, um mir zu helfen, aber dazu war es zu spät. Ich sah Annie an. Sie hatte ihre Handschuhe ausgezogen und war immer weiter rückwärts gegangen, bis sie an den Tisch mit den afrikanischen Veilchen gestoßen war. Sie stand dort, wrang ihre Handschuhe und beobachtete mich, darauf wartend, was ich sagen würde.
    »Ich bin nicht derjenige, der krank ist«, sagte ich. »Annie ist es. Ich habe sie zurückgebracht, um sie in ein Krankenhaus zu bringen.« Ich nahm ihre Hände in meine. »Ich habe Richard angerufen«, sagte ich. »Er wird jeden Augenblick da sein.«
    Einen Moment lang stand sie sehr ruhig, als wollte sie etwas sagen, und dann taumelte sie vorwärts so wie Lee, als Traveller gescheut hatte, die Handschuhe immer noch in der Hand.
    »Du leidest an einer Angina des Herzens«, sagte ich. »Deshalb tut dir das Handgelenk weh. Lee hatte während des ganzes Krieges Angina, Schmerzen in der Schulter, den Arm entlang, im Rücken. Er starb an einem Herzanfall. Die Träume sind eine Warnung. Du mußt dich untersuchen lassen.«
    »Und deshalb hast du Richard angerufen.«
    »Ja.«
    Sie setzte sich auf das Sofa. »Du hast es mir versprochen«, sagte sie.
    »Das war, bevor ich wußte, daß dich die Träume umbringen würden. Ich tue das zu deinem eigenen Besten.«
    »Wie Richard«, sagte sie und knetete die Handschuhe auf ihrem Schoß.
    Ich kniete mich neben sie. »Annie, hör mir zu, der Traum, den du heute morgen hattest, handelte nicht von Antietam. Ich habe dich angelogen. Die Versammlung, von der du geträumt hast, fand in der Grace Church in Lexington statt. Lee ging zu der Versammlung und saß den ganzen Nachmittag in der Kälte, und dann ging er im Regen nach Hause und bekam einen Herzanfall! Ich werde nicht zulassen, daß dir das gleiche passiert!«
    »Ich muß es tun.« Sie knetete die Handschuhe. »Ich muß es durchstehen. Bitte versuch das zu verstehen«, sagte sie ernst und freundlich. »Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Ich habe versprochen, seine Träume zu träumen. Der arme Mann… Ich muß versuchen, ihm zu helfen. Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Er liegt im Sterben.«
    »Er stirbt nicht, Annie!« rief ich. »Er ist tot. Er ist seit mehr als einhundert Jahren tot! Du klammerst dich an die Hand einer Leiche. Du kannst nichts für ihn tun! Verstehst du das nicht?«
    »Ich habe es versprochen.«
    »Und ich habe ebenfalls etwas versprochen, aber ich will verdammt sein, wenn ich dich wegen eines gottverdammten Anrufbeantworters sterben lasse! Darum handelt es sich nämlich in Wirklichkeit, um eine Art biologisch gespeicherter Nachricht, die sich einschaltet, wenn du im Begriff stehst, einen Herzanfall zu bekommen, und dir die Botschaft zukommen läßt, daß du einen Arzt aufsuchen sollst.«
    »Nein, das ist es nicht«, sagte Annie. »Es sind Lees Träume.«
    »Lees Träume«, sagte Broun. Er griff nach dem Türrahmen und lehnte sich dagegen, als könnte er nicht mehr stehen.
    »Du hast prodromale Träume, Annie! Sie werden durch die Angina ausgelöst!«
    Broun machte einen Schritt auf Annie zu. »Träumen Sie Robert E. Lees Träume?« sagte er mit einer angestrengten, unsicheren Stimme, als bekäme er nicht genügend Luft.
    »Nein«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Annie.
    Broun tastete hinter sich blind nach einem Sessel und setzte sich schwerfällig. »Lees Träume«, sagte er.
    »Annie, verstehst du nicht?« sagte ich. »Du bist in Gefahr.

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