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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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zu sagen, wo er sich aufhielt, und aus lauter Angst, ich könnte beim Vorspulen darüber hinweggehen und ihn verpassen. »Ich habe gerade die Untersuchungsergebnisse vom Labor bekommen. Es gibt da nach dem Bericht des Hausarztes ein Problem beim EKG. Ich weiß nicht genau, was es ist. Hast du irgendwelche Brustschmerzen bemerkt? Schmerzen im Handgelenk oder im Rücken oder in den linken Arm hinein? Falls es instabil sein sollte, können wir jederzeit auf einen Infarkt des Herzmuskels gefaßt sein.« Es kamen keine weiteren Nachrichten. Der Apparat lief bis zum Ende weiter, und dann schaltete er sich von selbst ab.
    Die Nummer von Brouns Westküsten-Agent war besetzt. Ich kaufte eine Tasse Kaffee zum Mitnehmen und ging zum Wagen zurück. Annie schlief immer noch, auf dem Beifahrersitz zusammengerollt und ihren linken Arm eng an den Körper gelegt. Ihr kurzes Haar war von den geröteten Wangen zurückgefallen. Ich nahm den Deckel von dem Styroporbecher ab, stellte mir den Becher zwischen die Knie und ließ den Wagen an. Annie rutschte ein wenig zur Seite und nahm ihren anderen Arm hoch, um den linken damit zu unterstützen. »Brecht das Zelt ab«, sagte sie.
    Ich machte den Motor wieder aus. Nach einer Weile öffnete ich die Tür und schüttete den Kaffee auf die Erde, ging wieder hinein und rief Richard an.

 
15
     
Nach der Kapitulation wurde Lee die Stelle des Direktors an einem kleinen College in Lexington angeboten. Er ritt auf Traveller dorthin, um eine Wohnung für seine Familie vorzubereiten. »Er reist morgen ab«, schrieb seine Frau, »und zwar auf dem Pferderücken, weil es ihm so lieber ist und weil er sich nicht einmal zeitweise von seinem geliebten Roß trennen will, seinem Gefährten in so manch harter Schlacht.«
In Lexington ritt er Traveller täglich und hielt zwischendurch an, um kleine Mädchen aufsitzen zu lassen und um sich mit Studenten zu unterhalten. Die Lange Lucy, die gestohlene Stute, wurde gefunden und zurückgebracht, und eine von Lees Töchtern begleitete ihn für gewöhnlich, wenn er mit Traveller ausritt. Im Laufe der Zeit erschöpfte ihn Travellers harte Gangart mehr und mehr, und als er eine Vortragsreise unternahm, benutzte er die Bahn. »Sag ihm, daß ich ihn schrecklich vermisse und daß ich unsere Trennung nur einmal bereut habe«, schrieb Lee an seine Frau, »das heißt, die ganze Zeit über, seit wir auseinander sind.«
     
    ICH FUHR MIT ANNIE zu Brouns Haus. »Wir können die Fahnen später zur Post bringen«, sagte ich. »Dieses Zeug wird sich in Schnee verwandeln, wenn wir noch weiter nach Norden kommen. Ich fahre heute nicht mehr nach New York. Ich muß nach den Nachrichten sehen und die Post durchgehen.«
    Ich hatte Richard gesagt, er sollte einige Straßen entfernt parken, damit Annie den Wagen nicht sähe, aber die Haustür war unverschlossen, und Brouns Siamkater saß auf der untersten Stufe. Mein erster Gedanke war, daß er irgendwie eingeschlossen worden war, als wir nach Fredericksburg aufgebrochen waren, doch dann sah ich, daß die Post ordentlich auf dem Dielentisch gestapelt war und daß ein Jackett über dem Treppengeländer hing. Annie stand in der Tür zum Wintergarten, noch im grauen Mantel und mit angezogenen Handschuhen und den linken Arm vom rechten unterstützt, und betrachtete die afrikanischen Veilchen. Sie waren gegossen worden – auf dem Tisch waren Lachen trüben Wassers.
    »Bist du das, Jeff?« sagte Broun und kam die Treppe heruntergepoltert. Er trug einen schwarzen Mantel, der aussah, als hätte er darin geschlafen. »Gott sei Dank!« sagte er und umarmte mich. Sein Bart war in der Woche, die er weggewesen war, überhaupt nicht gewachsen, und die rauhen Stoppeln kratzten mich am Ohr. »Bist du in Ordnung? Ich habe jedes einzelne Motel in Fredericksburg angerufen, aber du warst nirgendwo registriert.« Er schob mich auf Armeslänge von sich und musterte mich mit seinen scharfen kleinen Augen. »Du hast Richards Nachricht also bekommen?«
    »Welche Nachricht?« sagte ich. Ich trat von ihm zurück und schlüpfte aus dem Mantel. »Mir geht’s gut, jetzt, wo die verdammten Fahnen fertig sind. Was für ein Durcheinander! Vertauschte Kapitel, fehlende Kapitel, all sowas. Ich habe schließlich Annie hier angerufen und sie überredet, runterzukommen und mir zu helfen. Du erinnerst dich doch noch an meinen Boss, nicht wahr Annie?« sagte ich. Ich hängte meinen Mantel über den Treppenpfosten. »Den Mann, der für unser ganzes Elend während der letzten

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