Lincolns Träume
nieder.
»Nein«, sagte Nelly, als er es ihr mitgeteilt hatte, und er hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme, aber diesmal war er der Anlaß dafür, und er konnte nichts daran ändern. »Die Armee wird dich nicht wollen. Du kannst nicht einmal marschieren.«
»Ich kann ziemlich gut laufen«, sagte Ben. »Kann schon sein, daß sie mich jetzt nicht nehmen werden, aber eines Tages werden sie, und dann werden sie froh sein, mich zu haben.«
»Warum tust du das?«
»Ich muß. Ich weiß nicht, warum. Es ist genauso wie damals, als ich mich gemeldet habe. Ich mußte einfach.«
»Ich werde nie erfahren, wie es dir ergangen ist«, sagte sie.
»Hab’ drüber nachgedacht«, sagte er und holte ein gefaltetes Stück Papier aus der Tasche. »Ein Freund von mir hat mir gesagt, ich sollte meinen Namen und meine Adresse in meinen Schuh tun, aber das hat es nicht gebracht. Der Stiefel wurde sauber weggeschossen, und weg war der Zettel. Ich möchte, daß du das an dich nimmst.«
»Und wozu soll das gut sein?«
Ben erinnerte sich, wie sie neben Calebs Bett gesessen und seine kalte Hand gehalten hatte. »Wenn der Krieg vorbei ist, zeigst du ihnen das Papier, und du zeigst auf einen der Gefallenen und sagst: ›Das ist er‹, und dann schreiben sie meinen Namen auf ein Grab und schreiben an meine Eltern, damit sie wissen, was mit mir passiert ist.«
»In Ordnung«, sagte sie.
Als er gegangen war, faltete sie das Papier auseinander und las es. ›Toby Banks‹, stand darauf. ›Big Swell Mountain, Virginia‹.
Annie hörte auf zu lesen.
»Ich hatte doch einen Traum«, sagte sie. »Jetzt erinnere ich mich daran. Ich glaube, ich war in einer Kirche, der Presbyterianerkirche in der Main Street zu Hause, und man war gerade bei der Kollekte, nur war es kein Gottesdienst. Es war irgendeine Art von Versammlung.«
Eine Zusammenkunft des Kirchenvorstands. In der Grace Church.
»Ich kann mich nicht mehr an allzuviel davon erinnern. Es war anders als in den anderen Träumen.« In ihr Gesicht kehrte etwas von der alten Panik zurück, als sie sich zu erinnern versuchte. »Es war kalt. Ich weiß noch, daß ich dachte, ich sollte besser meinen anderen Mantel tragen, und daß ich wünschte, sie würden aufhören zu reden, damit ich nach Hause konnte.«
Sie hatten über eine Summe von fünfundfünfzig Dollar für den Pfarrer gestritten. Die Versammlung hatte drei Stunden gedauert, und schließlich hatte Lee gesagt: »Ich spende diese Summe«, einfach nur, damit es vorbei war. Lee hatte nur sein Militärcape getragen und war durch den Nieselregen nach Hause gegangen.
Die Familie erwartete ihn am Teetisch. Er nahm, sich den linken Arm haltend, schwerfällig auf dem Sofa Platz, und seine Frau sagte halb im Scherz: »Wo bist du denn gewesen? Du hast uns lange warten lassen«, und sie bat ihn, den Segen zu sprechen. Er erhob sich und setzte an, etwas zu sagen, und dann brach er auf dem Sofa zusammen.
»Was bedeutet das?« fragte Annie.
»Es handelt sich wahrscheinlich um die Dunker Church bei Antietam. Laß uns gehen.«
»Ich habe der Katze noch nicht auf Wiedersehen gesagt.« Sie bestand darauf, um das Gebäude herum zur Außentreppe zu gehen. Die Katze war nicht da, und die Brocken Hähnchenfleisch waren halb im Schnee begraben. »Und wenn ihr etwas passiert ist, Jeff?« sagte Annie, sich das Handgelenk reibend.
»Ihr ist nichts passiert. Sie hat sich irgendwo an einem gemütlichen Plätzchen verkrochen, auf einem Speicher voller Mäuse vielleicht. Komm schon. Laß uns gehen.«
Sie schlief die ganze Fahrt über, als hätte sie Tabletten genommen. Sie wachte nicht einmal auf, als ich gleich hinter Woodbridge an einer Tankstelle hielt. Es regnete dort, ein kalter, an den Herbst erinnernder Regen, der sich jede Minute in Schnee verwandeln konnte.
Ich ging hinein und rief den Anrufbeantworter an. »Sieg auf der ganzen Linie«, sagte Broun. »Ich wußte, daß ich auf der richtigen Spur war.« Ich hatte die Anrufe nicht gelöscht. Ich hörte mir die ganze Nachricht noch einmal an und versuchte, einen Hinweis auf Brouns Aufenthaltsort herauszuhören.
Brouns Agentin sagte: »Ich habe McLaws und Herndon gesagt, daß die Fahnen spätestens am Montag eintreffen werden. Wenn Sie Broun nicht erreichen können, geben Sie sie so ab, wie sie sind.«
»Du mußt mich auf der Stelle anrufen«, sagte Richard. Ich hatte vorher bei ihm aufgelegt, doch diesmal hörte ich mir die Nachricht an, weil ich hoffte, daß Broun noch einmal angerufen hätte, um mir
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