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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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überzeugt war, daß er eine Todeswarnung war. Er hatte geträumt, er läge in seinem Garten tot unter dem Apfelbaum. »Woran ist er gestorben?« fragte ich. »An der Akromegalie?«
    »Nein«, sagte die Veterinärsgattin. »Er starb an einem Herzanfall.«
    »Welche Symptome hatte er? Vor dem Herzanfall?«
    »Uh, das weiß ich nicht. Er lebte bei Hanks Schwester, und wir bekamen ihn nicht häufig zu sehen. Er klagte darüber, daß sein linker Arm häufig schmerzen würde, das weiß ich, weil Hanks Schwester dachte, es wäre Arthritis, aber hinterher sagte ihr der Arzt, es sei wahrscheinlich Angina Pectoris gewesen, und ich erinnere mich noch, daß er sich andauernd das Handgelenk rieb.«
    Ich bedankte mich bei ihr dafür, daß sie mir die Nachricht durchgegeben hatte und legte den Hörer auf. Dann ging ich zum Fenster und schaute zum Rappahannock hinaus. Meine liebste Annie.
    Als Annie aufgewacht war, sagte ich so beiläufig wie möglich: »Das Wetter soll heute nacht schlechter werden. Vielleicht sollten wir heute nachmittag losfahren.«
    »Ich dachte, du hättest morgen gesagt«, sagte sie.
    »Das stimmt, aber ich möchte nicht von einem Blizzard überrascht werden, so wie auf dem Rückweg von West Virginia.«
    Sie stand auf, wobei sie sich immer noch den Arm hielt. »Was ist mit den Fahnen?«
    »Wir können irgendwo auf dem Weg zum Mittagessen halten und sie fertigmachen. Es sind nur noch ein paar Seiten durchzusehen.«
    Sie blickte das Durcheinander der übereinandergehäuften Decken an. »Was war denn los?« sagte sie. »Habe ich wieder geträumt?« Sie wandte sich mir zu, ihr Gesicht unschuldig und voller Vertrauen, als wäre dieser Traum wie alle anderen und als könnte ich sagen, es war Antietam oder Die neuen Abenteuer des kleinen Huhns. Nichts in ihrem Gesicht deutete darauf hin, daß sie begriffen hatte, daß etwas vollkommen falsch war, daß die Träume mit der Kapitulation hätten vorbeisein sollen. Vorbei.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. Ich schob die Decken beiseite und legte ihren geöffneten Koffer auf das Bett. »Du hast mehrmals etwas davon gemurmelt, daß dir kalt wäre. Es war kalt hier drin. Ich habe noch ein paar Decken auf dich draufgelegt und dich in die Tagesdecke eingemummt.«
    »Mir ist immer noch ein bißchen kalt«, sagte sie und fröstelte. Sie begann ihre Sachen aus dem Schrank zu holen und in den Koffer zu legen, und mir fiel auf, daß sie jetzt, wo sie wach war, beide Hände benutzte; aber sie bewegte sich ein wenig steif, als hätte sie Rückenschmerzen.
    »Ich werde uns schon mal unten abmelden«, sagte ich.
    »Warte eine Minute. Was ist mit Dr. Barton? Wolltest du nicht warten, bis er wieder zurück ist?«
    »Er hat angerufen«, sagte ich. »Seine Schwester meinte, ihr Vater hätte nie irgendwelche Träume erwähnt.« Ich schloß die Tür und ging die Treppe hinunter, wobei ich dachte, wie einfach das gewesen war, so einfach wie eine Kapsel in ihr Essen zu entleeren. Zu ihrem eigenen Besten.
    Ich ging über die Straße zu dem Münztelefon im Coffeeshop und rief das Krankenhaus an. »Eine Bekannte von mir ist krank«, sagte ich und brach ab. Ich würde sie nie in ein Krankenhaus hineinbekommen. Man würde den Namen ihres Arztes wissen wollen, man würde dort tausend Formulare haben, und während ich sie ausfüllte, würde sie ein Taxi rufen und verschwinden.
    Ich rief das Schlafinstitut an und fragte nach Dr. Stone. »Es tut mir leid«, sagte die Dame von der Vermittlung. »Dr. Stone ist in Kalifornien. Kann ich ihm etwas ausrichten?« Ich rief Brouns Hotel in Los Angeles an. Er war abgereist. Ich fragte den Angestellten, ob Broun gesagt habe, wohin er wolle, und er wiederholte: »Mr. Broun ist abgereist.«
    Er war abgereist, und ich wußte weder, wo seine Signierstunde heute stattfinden sollte, noch wer der Neurologe war, den er am Montag treffen wollte, und er würde nicht vor Dienstag zu Hause sein, also erst in drei Tagen.
    Annie bestand darauf, im Coffeeshop zu frühstücken, damit sie sich von der rothaarigen Serviererin verabschieden konnte, doch sie war nicht da. Ihre kleine Tochter war krank, teilte uns der Manager mit. »Grüßen Sie sie von mir«, sagte Annie und fuhr fort, in den Druckfahnen zu lesen, als wären wir jetzt nicht von aller Welt abgeschnitten, als wäre die Nachhut nicht bei Saylor’s Creek vernichtet worden und Sheridan nicht bereits in Appomattox Station und Meade uns dicht auf den Fersen und als schriebe Grant nicht bereits die Kapitulationsbedingungen

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