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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Ich muß dich in ein Krankenhaus bringen.«
    »Ich kann nicht. Ich habe es versprochen.«
    »Was hast du versprochen? Nach Bloody Angle zu marschieren und dich umbringen zu lassen? Du bist nicht Lees Soldat! Seine Soldaten mußten bei ihm bleiben. Sie hätte man wegen Fahnenflucht erschossen.«
    »Das ist nicht der Grund, warum sie bei ihm blieben.«
    Es stimmte, barfuß und blutend waren sie ihm immer noch nicht fortgelaufen, nicht einmal zum Schluß. »Wir werden weiter für Sie kämpfen, Marse Robert.«
    »Als sich Lees Soldaten verpflichteten, da wußten sie, daß sie getötet werden könnten. Du nicht. Du hast dich überhaupt nicht einmal verpflichtet.«
    »Ich habe mich verpflichtet«, sagte Annie. »An dem Tag, als wir nach Shenandoah fuhren. Damals wurde mir klar, daß ich ihn nicht im Stich lassen durfte, daß ich bei ihm bleiben und ihm helfen mußte, die Träume zu träumen.«
    »An dem Tag, als wir nach Shenandoah fuhren, wußtest du nicht, daß du Angina hast!«
    »Doch, das wußte ich.« Sie legte die Handschuhe auf ihrem Schoß ab. »Ich fand es am Morgen in der Bücherei heraus. Mein Handgelenk tat weh, und ich dachte, es wäre vielleicht eine Nebenwirkung der Medikamente, die ich genommen hatte; deshalb schlug ich es nach. Es stand da, Elavil sei bei Patienten mit Herzbeschwerden kontraindiziert.«
    »Elavil?« sagte ich begriffsstutzig.
    »Als ich wegen meiner Schlaflosigkeit vor einem Jahr beim Arzt war, sagte er mir, ich hätte ein kleineres Herzleiden.«
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich hätte mit dir zum Arzt gehen können.«
    »Ich konnte zu keinem Arzt gehen.« Sie sah mich an. »Die Träume sind ein Symptom. Wenn man die Krankheit heilt, verschwinden die Symptome. Und ich darf ihn nicht im Stich lassen.«
    »Warum hast du mir nichts erzählt?« sagte ich noch einmal.
    Sie antwortete nicht. Sie saß da, die Hände im Schoß.
    »Weil ich damit versucht hätte, die Träume zu stoppen«, sagte ich an ihrer Stelle. So wie ich es gerade zu tun versuchte.
    Es läutete an der Tür. Broun legte seine Hände auf die Sessellehnen und machte eine Bewegung, um aufzustehen, dann setzte er sich wieder hin und beobachtete weiter Annie. Sie stand auf. Ihre Handschuhe fielen unbeachtet zu Boden. »Du hast es mir versprochen«, sagte sie.
    »Ich tue das zu deinem eigenen Besten«, sagte ich und öffnete Richard die Tür.
    Er trug keinen Mantel. Sein Pullover und seine Jeans waren vollkommen durchnäßt. Auch sein Haar war naß, und er sah erschöpft und besorgt aus, genauso, wie er am Abend des Empfangs ausgesehen hatte, als er noch mein alter Stubenkamerad, mein Freund gewesen war.
    »Wo ist sie?« sagte er und stürmte an mir vorbei in den Wintergarten.
    Annie war an den Tisch mit den afrikanischen Veilchen gestoßen und stand mit hängenden Armen daneben. Sie hatte eins der Veilchen heruntergeworfen, und schmutziges Wasser tropfte von der Tischkante auf den Boden.
    »Gott sei dank bist du in Ordnung!« sagte er und faßte sie am Handgelenk. »Ich habe das Krankenhaus angerufen, und wenn wir dort sind, haben sie schon ein Zimmer vorbereitet. Hast du irgendwo Schmerzen?«
    »Ja«, sagte sie und schaute durch den Raum zu mir herüber. Broun erhob sich.
    »Wo? Im Arm?«
    »Nein«, sagte sie und sah mich weiter an. »Nicht im Arm.«
    »Also, wo dann? Rücken, Kiefer, wo? Das ist wichtig!« sagte er wütend, wartete ihre Antwort jedoch nicht ab. Er wandte sich nach Broun um, und dabei zog er Annie mit sich, wobei ihr Arm ruckartig angehoben wurde, wie der einer Leiche.
    »Ruf einen Krankenwagen«, sagte er.
    »Nein«, sagte Annie, zu Broun, nicht zu mir. »Bitte.«
    Ich hatte geglaubt, ich könnte es tun. Sie hatte bereits jene andere Kapitulation durchlebt. Ich hatte nicht gedacht, daß diese so schwer für sie sein würde. Aber jene Kapitulation war etwas anderes gewesen. Lincoln hatte Grant angewiesen ›es ihnen leicht zu machen‹, und das hatte Grant getan. Er hatte Lee am Appotomax nicht gefangengenommen. Er hatte nicht einmal Lees Säbel verlangt. Er hatte dafür gesorgt, daß an die Männer Rationen ausgeteilt wurden und daß die Offiziere ihre Pferde behalten durften, und dann hatte er Lee gehenlassen.
    Ich blickte zu Broun hinüber, der in seinem schwarzen Mantel mit hängenden Armen dastand, als hätten ihn Erschöpfung und Mitleid übermannt, und dann wieder zu Richard. Ich hätte mich Lincoln ergeben können, dachte ich. Ich hätte mich Grant ergeben können. Aber Longstreet nicht.

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