Linda Lael Miller
wußte
wenig genug über Mr. Kiley, aber ihr war bekannt, daß er vor schamlosen Frauen
keine Achtung hatte. In Chicago hatte sie ihn einmal sehr verächtlich von
einer Schauspielerin reden hören, die für kurze Zeit in derselben Pension wie
sie gewohnt hatte. Als diese Frau beim Abendessen ganz offen mit ihm geflirtet
hatte, hatte er sie mit einem vernichtenden Blick bedacht. Jetzt, in der Wärme
und Geborgenheit von Lucas Kileys Küche, kam Rebecca sich mehr denn je wie ein
Eindringling in seiner Welt vor. Unwillkürlich schlug sie eine Hand vor ihren
Mund und stöhnte leise.
Mr.
Pontious betrachtete sie mitfühlend. »Ich nehme an, daß Sie einen guten Grund
besaßen, um zu tun, was Sie getan haben«, sagte er. »Dennoch glaube ich nicht,
daß die Leute hier sehr freundlich auf ein solches Bild wie dieses reagieren
würden.«
Rebecca
schloß die Mappe und legte eine zitternde Hand darüber, als könne sie ihr
Geheimnis so bewahren. »Der Mann, der Ihnen das verkauft hat ...« flüsterte sie
gebrochen. »Wie hieß er?«
»Jones,
wenn ich mich recht entsinne«, erwiderte Mr. Pontious. »Er erzählte mir, daß er
ein Fotostudio in Spokane eröffnen will. Ich lernte ihn eines Abends im ... im Rusty
Spur Saloon kennen, und bei dieser Gelegenheit zeigte er mir Ihr Foto. Ich
habe es für zehn Cents gekauft.«
Rebecca
wußte, ohne in einen Spiegel schauen zu müssen, daß sie weiß wie der Schnee
geworden war, der meilenweit das Land bedeckte. Zitternd ging sie zum Schrank,
nahm eine Münze aus der Blechdose, die im obersten Regal stand, und bot sie Mr.
Pontious an.
Kopfschüttelnd
lehnte er das Geld ab und drückte ihr das Foto in die Hand.
Erschüttert
betrachtete Rebecca es noch einmal, bevor sie es resolut zum Ofen trug, es
hineinwarf und in grimmigem Schweigen zusah, wie es verbrannte.
6. Kapitel
Nachdem Mr. Pontious sich in die Scheune
zurückgezogen hatte, um sich in dem kleinen Raum dort hinzulegen, ging Rebecca
wie in Trance in die Vorratskammer, um die Badewanne zu holen. Ihre Gedanken
waren erfüllt von den Erinnerungen an die Posen, die sie für Duke Jones'
skurrile Fotografien eingenommen hatte; sie sah weder die Küche noch die Kessel,
die sie mit Wasser füllte und auf den Herd stellte, noch die Wanne selbst.
Sie wurde
erst aus ihrer Geistesabwesenheit gerissen, als die Hoftür aufging und Lucas in
die Küche kam.
Er warf
einen Blick auf die Badewanne und die Kessel und zog eine Augenbraue hoch. »Ich
dachte, du glaubtest, deine Tugend wäre in Gefahr, wenn du badest, solange ich
in der Nähe bin«, sagte er, während er Hut und Mantel abnahm und sie an die
Haken bei der Tür hängte.
Rebecca
stand noch immer unter Schock und fühlte sich beschmutzt, nachdem sie dieses
schreckliche Bild gesehen hatte. Obwohl sie wußte, daß sie nicht abwaschen
konnte, was in Chicago in Mr. Jones' Studio geschehen war, glaubte sie,
verrückt zu werden, wenn sie sich nicht auszog, in eine Wanne heißes Wasser
stieg und sich von Kopf bis Fuß mit grober Seife abschrubbte.
»Becky?«
beharrte Lucas, als sie nichts erwiderte, kam zu ihr, legte eine Hand unter ihr
Kinn, die nach frischgesägtem Holz roch, und zwang sie, ihn anzusehen. »Was
hast du denn, Rebecca?«
Sie hätte
es ihm gern gesagt, wirklich – doch ausgerechnet in diesem Augenblick mußte
sie zu der erschütternden Einsicht kommen, daß sie Lucas Kiley liebte. Denn das war der eigentliche Grund gewesen, warum sie versucht hatte, ihn zu finden,
als sie von seinem Unfall in der Fabrik gehört hatte, und warum sie hergekommen
war, um in seinem Haus zu leben, und warum sie sich als seine Frau ausgegeben
hatte. Und nun schien es ihm große Freude zu bereiten, dieses Spielchen, so zu
tun, als ob sie Mann und Frau wären,
und er war sehr nett und großzügig zu ihr und den Zwillingen gewesen.
Falls er
jedoch erfuhr, daß Rebecca sich auf diese Art verkauft hatte, würde er sie
hassen. Dann würde es für ihn nicht mehr ins Gewicht fallen, daß kein Mann sie
je intim berührt hatte und sie nur für die Fotografien posiert hatte, um
genügend Geld für einen neuen Anfang für die Mädchen und sich
zusammenzubekommen. Lucas würde ihr nie verzeihen, daß sie, nur mit ihrer
Unterwäsche bekleidet, Fotos von sich hatte machen lassen – kein guter,
anständiger Mann wäre imstande, so etwas zu verzeihen.
Es wäre
schlicht zuviel verlangt gewesen.
»Ich ... Es
geht mir gut«, sagte sie schließlich und befreite sich aus Lucas' sanftem
Griff. »Ich bin nur ein
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