Linda Lael Miller
Zukunft vorauszusagen«, erwiderte Gloriana,
bevor sie ihren Namen nannte. Die St. Gregorys erwähnte sie natürlich nicht,
und sie sagte auch nichts von ihrer Verbindung mit Dane.
Corliss
schaute Gloriana aus großen, unschuldigen Augen an. »Aber ich kenne Eure
Zukunft schon, Mylady, selbst ohne Hilfe der Runen.«
Eine leise
Angst beschlich Gloriana. Sie war nicht sicher, daß sie wirklich wissen wollte,
was vor ihr lag, weil es schrecklich sein konnte. Und Corliss war der zweite
Mensch, der sie seit ihrer Rückkehr wie eine Dame edler Herkunft angesprochen
hatte. »Warum nennst du mich Mylady?« fragte sie leise, als sie weitergingen.
»Ich bin doch nur eine arme Gauklerin wie du.«
Corliss'
Lächeln verriet Nachsicht. »Es gibt nur eine Frau im ganzen Königreich, die den
seltenen Namen Gloriana trägt. Ihr seid die Kenbrook-Hexe, nicht?«
Gloriana
war so entsetzt, daß sie Corliss' Arm ergriff und ihre Gefährtin schüttelte.
»Bitte, sag so etwas nie wieder«, flüsterte sie bestürzt. »Möchtest du, daß
ich der Hexerei bezichtigt werde und als Dienerin Satans auf dem Scheiterhaufen
brenne?«
Etwas von
Corliss' Übermut verblaßte und wich einem Ausdruck der Verwirrung.
Schausteller, die gewöhnlich selbst als Ausgestoßene galten, waren toleranter
als normale Bürger, und das Kind hatte anscheinend vergessen, daß alles, was
mit Zauberei in Verbindung gebracht wurde, in dieser Gesellschaft tödlich sein
konnte. Selbst Magier wie Romulus mußten darauf achten, nur Belustigung
hervorzurufen und niemals Furcht oder gar Staunen und Bewunderung.
»Aber Ihr seid doch Lady Kenbrook und aus jener anderen Welt zurückgekehrt?« beharrte
Corliss flüsternd. Ihre Einschätzung
der Situation war so treffend, daß es Gloriana für einen Moment den Atem
raubte.
Sie
überlegte, ob sie lügen sollte, vermutete jedoch, daß das Kind eine solche
Antwort als Unwahrheit durchschauen würde. »Was weißt du von Kenbrook und den
Vorgängen auf Hadleigh Castle?« entgegnete sie statt dessen. »Sag es mir!«
Corliss
runzelte die Stirn. »Es heißt, daß Kenbrook seinen eigenen Bruder, Sir Edward,
bei einem Streit erschlagen hat.«
Gloriana
schloß die Augen und schluckte die Galle, die in ihrer Kehle aufstieg. »Heilige
Jungfrau Maria«, wisperte sie. »Mutter Gottes ...«
Corliss
erschauderte in kindlichem Entsetzen und schlang die mageren Arme um den
Oberkörper. »Sie sind verflucht, sie alle. Der alte Hadleigh ist an einem
Fieber gestorben, und seine Frau, Lady Elaina, spricht seitdem nicht mehr. Sie
starrt nur noch vor sich hin, den ganzen Tag lang, und schaut nicht einmal auf,
wenn jemand sie anspricht oder berührt.«
Tiefe
Niedergeschlagenheit erfaßte Gloriana. Sie war zu spät gekommen, um den Kampf
mit Edward – ihrem lieben, galanten Edward – zu verhindern, um sich bei Gareth
für seine liebevolle Fürsorge zu bedanken und Abschied von ihm zu nehmen, und
mit Elaina zu trauern und sie zu trösten, wie man eine Schwester in Zeiten
bitterer Verzweiflung tröstet.
Aber da war
noch Dane. Er lebte noch. Gloriana wußte, daß sie zu ihm gehen mußte, um ihm
Liebe, Beistand und Trost zu schenken. Nicht einen Augenblick lang bereute sie
ihre unablässigen Gebete, in ihr Heim und zu ihrem Gatten zurückkehren zu
dürfen. Sie wäre sogar in die Hölle gegangen, wenn die Lage es erfordert hätte.
»Diese
Geschichten sind bestimmt maßlos übertrieben, denn schließlich sind es nur
Gerüchte«, bemerkte sie zu Corliss, als sie endlich wieder Worte fand und sich
zutraute, sie mit fester Stimme auszusprechen.
»Ihr werdet
sehen«, antwortete Corliss nur.
Die Sonne
ging schon unter, als die Truppe, hungrig und mit wunden Füßen, endlich die
Tore von Hadleigh Castle erreichte.
Trotz ihrer
Trauer machte Glorianas Herz einen Sprung beim Anblick der mächtigen Burg, denn
irgendwo innerhalb der vertrauten Mauern würde sie den Mann finden, den sie
liebte.
Gloriana
dachte über ihre Ehegelübde nach, als sie mit Romulus, Corliss und den anderen
darauf wartete, daß das große Tor geöffnet wurde. Fackeln brannten hinter dem
großen Tor, doch der äußere Burgwall, der für Turniere und Spiele zur
Verfügung stand, war verlassen. Dahinter flackerten die Lichter des Dorfs,
schwach und bescheiden im Vergleich zu ihren elektrischen Gegenstücken des
zwanzigsten Jahrhunderts, doch irgendwie auch wärmer und behaglicher.
Glorianas
Stimmung hob sich ein wenig, als sie mit der Gauklertruppe über das alte
Kopfsteinpflaster
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