Linda Lael Miller
schritt. Der Esel stieß einen schrillen Schrei aus, worauf
die Dorfbewohner aus ihren Hütten strömten, um zu sehen, wer sich zu solch
später Stunde näherte.
In der
Dorfschenke stellte Dane
St. Gregory so plötzlich und so hart seinen Becher ab, daß etwas von dem sauren
Getränk darin überschwappte. Ein eigenartiges Gefühl, teils Freude, teils
Erschrecken, breitete sich in seinem Magen aus.
Sie ist
nahe, dachte er,
obwohl er kein Mann war, der zu Illusionen neigte.
»Es ist
bloß eine Gauklertruppe«, verkündete der Kesselflicker, der als einer der
ersten hinausgestürzt war, um nachzusehen, was die Hunde aufgeschreckt hatte.
Dane
stellte sich auf unsichere Beine und starrte zur Tür hinüber, verstört von der
jähen Erkenntnis, daß Gloriana zu ihm zurückgekehrt war. Er spürte ihre
Anwesenheit und Liebe, so greifbar wie in seinen Träumen, und doch war irgend
etwas anders.
Er war
wach.
Und stocknüchtern,
obwohl er mit Recht den Ruf besaß, ein Trunkenbold zu sein.
Er schaute
auf seine Kleider herab, an denen nichts mehr an seine frühere Eleganz
erinnerte. Mit zitternder Hand rieb er sein bärtiges Kinn und fragte sich, ob
die freudige Erregung, die ihn beherrschte, nichts weiter als ein grausamer
Trick seines eigenen Gehirns sein mochte. Er glaubte nicht, daß er die
Enttäuschung, hinauszueilen und festzustellen, daß Gloriana doch nicht da war,
ertragen hätte.
»Was ist?«
fragte Maxen von seinem Platz auf der anderen Tischseite. Der Waliser sah
sogar noch schlimmer aus als Dane. Die zwei Jahre, in denen sie nichts anderes
getan hatten, als den armen, geschlagenen Merrymont zu quälen und schlechtes,
englisches Bier zu trinken, hatten Maxens Charakter sehr geschadet. »Großer
Gott, Mann, du siehst aus, als hättest du eine Erscheinung gesehen.«
Ohne seinen
Freund zu beachten, tat Dane einen zögernden Schritt über den schmutzigen
Schenkenboden, und dann noch einen, als zöge ihn ein unsichtbares Tau zur Tür.
Die
Schausteller, ein zerlumpter, bemitleidenswerter Haufen, schlurften gerade
vorbei, als er aus der Taverne trat. Sie würden Essensreste aus der Burgküche
erhalten und einen trockenen Platz im Stall, wo sie die Nacht verbringen
konnten, denn so wollte es der Brauch.
Er folgte
ihnen einige Schritte und schrie dann: »Halt!«
Nur einer
blieb stehen, ein junger Mann in einem roten Umhang mit Kapuze – ein Fremder,
obwohl irgend etwas in seiner Haltung ...
Dane
spürte, wie das Herz ihm in die Kehle stieg und ihn zu ersticken drohte, als
der Schein der Fackeln das Gesicht seiner vermißten Frau beleuchtete. Er hatte
Gloriana seit zwei Jahren nicht gesehen, und jede Sekunde dieser Zeit war die
reinste Agonie für ihn gewesen, doch nun, als er sie rufen wollte, legte sie
einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf.
Er ging auf
sie zu, und sie wartete.
»Bitte«,
sagte sie leise, »umarme mich jetzt nicht und sag nicht meinen Namen, falls sie
mich der Hexerei bezichtigen. Ich werde zu dir kommen, wenn es ungefährlich
ist, in die römischen Bäder, wo wir unser Kind gezeugt haben.«
Dane
starrte sie an, von dem verzweifelten Wunsch beherrscht, sie zu berühren, an
seine Brust zu drücken und nie wieder loszulassen – und gleichzeitig voller
Angst, daß sie nur ein Trugbild war. Vielleicht war es ja doch wieder nur ein
Traum – oder er hatte wieder zuviel Bier getrunken.
Sie
lächelte ihn an, zärtlich, als erriet sie seine Gedanken und wolle ihn
trösten. Dann, würdevoll und mit dem größten Widerstreben, wandte Gloriana sich
ab und folgte den anderen Gauklern zu den Stallungen.
Kapitel
15
Dane
erreichte Kenbrook
Hall vor Gloriana und stand bereits im warmen Wasser des Römerbads, als sie
erschien, eine einzige Lampe in der Hand, die ihr den Weg erhellte. Sie hatte
Hadleigh Castle in großer Hast verlassen und war einem dunklen, vertrauten Pfad
gefolgt, der um den See und durch den Eichenwald führte, aus Angst, auf der
Straße gesehen und erkannt zu werden.
Als sie
Dane erblickte, hielt sie mit klopfendem Herzen inne. So oft sie sich diesen
Moment auch herbeigesehnt hatte, diesen kostbaren Augenblick, wenn sie und Dane
wieder zusammensein würden, wagte sie jetzt doch kaum zu glauben, daß er
Wirklichkeit geworden war.
Als erriet
er ihre Gedanken, sagte Dane mit leiser, rauher Stimme: »Wenn auch dies nur
eine Illusion ist, dann geh bitte. Ich ertrüge es nicht, mir schon wieder
falsche Hoffnungen zu machen.«
Gloriana
trat einen Schritt auf ihn zu. »Ich
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