Linda Lael Miller
Turmzimmer war so etwas wie ihr ganz privates
Heiligtum, denn hier hatte Dane sie zum ersten Mal geliebt, hier hatten sie
gelacht, gezankt und Schach gespielt. »Nein, ich möchte bleiben«, erwiderte
sie.
Er
streichelte ihre Wange. »Ich fürchte, es gibt keinen sicheren Ort, wo wir uns
vor deiner Zauberei verstecken könnten, Mylady. Aber ganz gleich, ob wir eine
Stunde zusammen sind oder hundert Jahre, laß uns das Beste aus jedem Augenblick
machen.«
»Das ist
ein weiser Vorschlag«, entgegnete Gloriana und schlang ihm die Arme um den
Nacken. Ihr Lächeln war jedoch unsicher und zaghaft, weil sie wußte, daß sie
jeden Augenblick wieder auseinandergerissen werden konnten, um sich vielleicht
niemals wiederzusehen. Das Wissen
beängstigte sie, obwohl es jede Sekunde unendlich kostbar machte. »Du hast
recht, wir können nur für den Moment leben.« Sie seufzte. »Aber es gibt Dinge,
die besprochen werden müssen.«
Dane
seufzte ebenfalls und legte das Kinn auf ihren Scheitel. Mit seinen starken
Händen massierte er ihre Schultermuskeln, die sich vor Anspannung versteift hatten.
»Die St. Gregorys
haben viel gelitten, Gloriana«, sagte er und legte den Kopf zurück, um ihr in
die Augen sehen zu können. »Es tut mir leid, daß ich es dir nicht schonender
beibringen kann ... Edward ist tot, durch meine Hand gestorben. Und auch Gareth
ist nicht mehr. Er ist einem bösen Fieber erlegen.«
Gloriana
wußte natürlich von diesen Tragödien, sagte jedoch nichts und ließ sich auch
keine Überraschung anmerken.
»Es gibt
keine Gnade für einen Mann, der seinen eigenen Bruder tötet«, fuhr Dane mit
rauher Stimme fort. »Doch Gott ist mein Zeuge, Gloriana, daß es keine Absicht
war.«
»Wie ist es
geschehen?«
Dane löste
sich von ihr, ging zu einem der großen Fenster und schaute auf den See hinab.
Seine breiten Schultern wirkten steif, sogar im schwachen Licht des Monds.
»Edward quälte mich unablässig, nachdem du verschwunden warst. Er dachte, ich
hätte einen Mord begangen, und versuchte mit allen Mitteln, Beweise für meine
Schuld zu finden. Er verlor das Interesse an allem anderen als meinem
angeblichen Verbrechen, und niemand, nicht einmal Gareth, vermochte ihn zur
Vernunft zu bringen. Edward forderte mich heraus, wieder und wieder, doch stets
wandte ich mich ab und ging in die andere Richtung. Eines Nachts jedoch sprang
er mich von einer niedrigen Mauer an ... Ich hatte an jenem Abend zuviel Wein
getrunken und gebe mir deshalb die Schuld an der Tragödie.« Er hielt inne und
strich mit der Hand durch sein schönes, dichtes Haar. »Ich merkte nicht, daß es
Edward war, bis es zu spät war. Da hatte ich seine Kehle bereits mit meinem
Dolch durchbohrt – in der Annahme, daß er ein Räuber sei oder einer meiner
eigenen Soldaten, der sich für eine Kränkung rächen wollte.«
Gloriana
versuchte nicht, ihre Tränen wegzuwischen. Edwards Tod, bis dahin nichts weiter
als eine traurige Geschichte in einem alten Buch, war nun schmerzhafte
Wirklichkeit geworden – so real wie die Trauer des Mannes, der ihn
herbeigeführt hatte.
»Es tut mir
so leid«, sagte sie leise.
Dane drehte
sich zu ihr um, doch sein Gesicht und der größte Teil seines Körpers blieben im
Schatten. Gloriana spürte seine Gefühle mehr, statt sie an seiner Haltung und
seiner Miene zu erkennen. »Und dann Gareth«, fuhr Dane bedrückt fort, nachdem
er lange Zeit geschwiegen hatte. »Er erkrankte am Fieber und hätte sich
vielleicht davon erholt, wenn er nicht um Edward getrauert hätte. Sein Verlust
hatte ihn sehr geschwächt, denn der Junge war mehr als ein Bruder für ihn
gewesen.«
Gloriana
nickte stumm. Danes schreckliche Aufgabe war noch nicht vollendet – er mußte
noch von Elaina sprechen, und wenn auch nur sich selbst zuliebe.
»Elaina
lebt, obwohl sie nur noch ein Schatten ihrer selbst ist«, erzählte er.
»Sie ist
schon lange krank, Dane.«
»Ja«,
stimmte er mit rauher Stimme zu. »Aber jetzt spricht sie den ganzen Tag kein
Wort mehr und wäre längst gestorben, wenn die Nonnen sie nicht mit Brühe
füttern und sie zwingen würden, sie zu schlucken. Sie sieht nichts mehr und
schließt doch nie die Augen.«
Gloriana
schluckte. Elaina war ihr eine gute Freundin gewesen, Gareth ein großzügiger und
weiser Vormund und Edward der liebste Gefährte ihrer Jugend. »Die Schuld liegt
nicht bei dir allein«, sagte sie leise, »sondern auch bei mir. Wenn ich nicht
fortgegangen wäre ...«
Dane war
bei ihr, bevor sie ihren Satz
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