Lindenallee
schlecht und die Kinder schauten angsterfüllt auf die stürmische See, die sie zu verschlingen drohte.
Der rettenden Küste bereits nahe, warf sie eine hohe Welle gegen die vorgelagerten Klippen, die ein großes Loch in die Bordwand rissen. Das Schiff begann rasch mit Wasser vollzulaufen, der Kapitän gab das Signal das Schiff mit den Rettungsbooten zu verlassen. Friedrich und seine Eltern klammerten sich dicht aneinander, es war keine Zeit unter Deck zu gehen und die notwendigsten Sachen zu holen. Sie standen an der Reling. Außer ihrer Kleidung am Leib und ein paar wichtigen Papieren in Vaters Brusttasche, konnten sie nichts retten. Sie trugen Rettungswesten und bestiegen unsicher das schwankende Rettungsboot, das zu Wasser gelassen wurde und auf den Wellen wie ein Spielball hin und her zu tanzen begann.
Ein paar Männer, Passagiere und Matrosen ruderten verzweifelt mit aller Kraft gegen die Wellen an, die drohten, sie erneut gegen die Klippen zu werfen. Bange Minuten vergingen, in denen sie sich zwischen Leben und Tod bewegten. Die aufgewühlte See trieb sie unerbittlich auf die Küste zu. Die Gischt nahm ihnen zeitweilig die Sicht, ehe sie triefend nass, vor Kälte schlotternd, aus dem Rettungsboot kletterten und auf den Strand zuwateten. Dort blieben sie dicht zusammen und sahen auf das wütende Meer hinaus, dessen Fängen sie knapp entkommen waren.
Das havarierte Schiff neigte sich stark zur Seite und sank langsam vor ihren Augen in sein nasses Grab. Friedrich weinte still, denn mit dem Schiff gingen seine Briefe unter. Die liebevoll geschriebenen Worte lösten sich im salzig-kalten Wasser auf und verschwanden, als ob sie nie existiert hätten.
Friedrich und seine Eltern kamen mit dem Leben davon und traten einer ungewissen Zukunft ohne Hab und Gut entgegen. Als sie in Argentinien an Land gingen, hatten sie nichts außer ihrer Kleidung am Leib und das Wunder überlebt zu haben.
„Das ist unglaublich!“, unterbrach Paula Magarete aufgebracht. „Wie boshaft und gemein das Schicksal zu ihnen gewesen ist.“ Aufgewühlt blickte sie Magarete an.
„Aber vielleicht auch Glück im Unglück, dass sie überlebten. Viele der Passagiere und der Mannschaft starben bei dem Unglück.“
„Oh.“ Sie setzte eine betretende Miene auf. „Das ist natürlich schlimm.“ Nach einer Pause fuhr sie fort. „Wie haben sie sich in Argentinien durchgeschlagen? Mittellos in einem fremden Land, das ist ja furchtbar.“
Geräusche an der Wohnungstür unterbrachen ihr Gespräch.
„Friedrich ist zurück.“ Magarete stand auf, um ihn im Flur zu begrüßen.
Währenddessen blieb Paula im Wohnzimmer sitzen und vernahm vergnügt das schmatzende Geräusch eines Kusses. Wenig später kamen die Beiden herein.
„Paula, wie schön dich zu sehen.“
Paula stand auf und umarmte Friedrich herzlich. Wie seltsam, schoss es ihr durch den Kopf, ich sehe den Mann erst zum zweiten Mal und mir ist, als ob wir uns ein Leben lang kennen würden.
„Hallo Friedrich. Setz dich zu uns.“
Etwas schwerfällig ließ er sich auf dem Sofa nieder. „Das ist gut, der Tag war anstrengend und ich bin erschöpft“, gab er ehrlich zu. „Ich war ziemlich lange beim Arzt. Das Sitzen hat mich mürbe gemacht.“ Müde strich er sich mit der Hand über die Haare und gähnte herzhaft.
Paula erschrak. „Arzt? Hoffentlich nichts Schlimmes?“
Magarete kam ihm zuvor. „Nichts Schlimmes.“ Sie ergriff die Hand von Friedrich, der sie dankbar anlächelte. Die Beiden wirkten wie ein frisch verliebtes Paar.
Paula fühlte instinktiv, dass sie jetzt gehen sollte. „Ich lasse euch jetzt alleine. Vielleicht sehen wir uns am Wochenende?“ Hoffnungsvoll blickte sie Magarete an.
Friedrich schien bereits im Sitzen eingeschlafen zu sein. Magarete hatte es auch bemerkt und flüsterte leise. „Ja, Sonntag?“
Paula nickte stumm. Sie winkte Magarete zu und verließ leise die Wohnung. Sie würde sich bis Sonntag gedulden müssen um zu erfahren, warum Friedrich es nicht geschafft hatte, sich aus Südamerika zu melden. Was war da passiert?
In Gedanken versunken lief sie in ihre Wohnung zurück. Sie konnte nicht begreifen, warum Friedrich sich erst siebzig Jahre später gemeldet hatte. Es gab nicht überall Telefon, aber doch eine Post, oder?
Geduld war nicht ihre große Stärke, die Zeit würde zäh bis Sonntag vergehen. Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken.
„Hallo Mama.“ Paula machte es sich auf dem Sofa bequem.
„Paula, meine Tochter“, begrüßte
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