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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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etliche Jahre älter als ich. Er hatte ein gutes Gespür für Ungerechtigkeit gehabt und mir von Kindesbeinen an, Hubert, den Raufbold der Straße, vom Leib gehalten.
    Ich hatte Franz eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und nun stand er auf einmal da, mit der Tatwaffe in der Hand. Meine Erinnerung an den heldenhaften Franz erblasste in diesem Moment, als ich betroffen auf den am Boden liegenden Hein Kummerlich hinabblickte. Er hatte sein Leben still und elend ausgehaucht. Ein seltsames Ende für einen Mann, der lautstark polternd durch das Leben gezogen war.
    Franz folgte meinem Blick. Er zuckte unmerklich mit den Schultern. „Er hatte es verdient.“ In seiner Stimme vernahm ich keinen Funken Reue.
    „ Warum?“, fragte ich ihn eindringlich, während ich aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Peter in die Hocke ging und sich an einen Pfeiler lehnte. Sein Gesicht war leichenblass, aber um ihn konnte ich mich gerade nicht kümmern.
    Franz holte tief Luft. „Hein Kummerlich hat Otto an die Gestapo verraten. Sie haben ihn letztes Jahr mitgenommen. Ich habe es durch Zufall erfahren, als ich Peter in Berlin traf. Er war zu gemeinsamen Bekannten geflohen. Über verschwiegene Kanäle konnte ich in Erfahrung bringen, dass Otto bei den Verhören grausam zu Tode gefoltert wurde.“ Sein Gesicht ließ den Schmerz erahnen, den er seitdem mit sich herumtrug.
    „ Otto war Schmied. Was für einen Grund sollte es gegeben haben, ihn zu verhören?“ Ich war in dem Moment sehr begriffsstutzig.
    „ Er hat in seiner Schmiede Flugblätter für den Widerstand gedruckt.“
    Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Natürlich, der Grund war einleuchtend. Er hatte immer so ein Theater um seine Schmiede gemacht. Niemand, außer seiner Familie und enge Freunde, durfte hinein.
    Ich rieb mir den Kopf, wie blind war ich gewesen! Meine Gedanken richteten sich nach vorne. „Und jetzt? Ich muss das melden. Das ist Mord, so ein Mist.“ Als ich das aussprach wusste ich schon, ich konnte meinen alten Freund nicht verhaften und ans Messer liefern. Undenkbar, es gab eine Zeit, da waren wir wie Pech und Schwefel gewesen und hatten unsere Freundschaft mit einem Blutsschwur besiegelt.
    Nachdenklich betrachtete ich die Narbe in meiner Handinnenfläche. Wem diente es, wenn ich Franz auslieferte? Was würde aus seiner Familie werden, die Unterschlupf in Lucklum gefunden hatte?
    Gleich am ersten Tag hatten Frau Mendelssohn und ihr Sohn Friedrich bei mir auf der Matte gestanden und gebeichtet, dass sie aus Berlin hatten fliehen müssen. Franz wusste genau, er konnte sie zu mir schicken, ich hätte sie niemals verraten. Ich stand tief in seiner Schuld und es war nur rechtens, wenn er nun in dieser Notlage den Gefallen von mir einforderte. Ich gewährte ihm diesen, so tief fühlte ich mich ihm ergeben, auch gegen den Ehrenkodex eines Polizisten.
    Franz sah mich abwartend an, während Peter leise schluchzend am Boden lag.
    „ Warum ist der Junge hier?“, fragte ich Franz.
    „ Er wollte seinen Vater rächen und ich bin fast zu spät gekommen. Hein hätte kurzen Prozess mit ihm gemacht. Dann wäre die ganze Familie ausgelöscht gewesen.“
    Ich wägte nicht mehr ab, meine Entscheidung war endgültig gefallen. Sie sollte mich ein Leben lang verfolgen, aber ich hätte sie immer wieder so getroffen.
    „ Franz, steck den Hammer ein und schnapp dir Peter. Wir müssen hier sofort verschwinden, ehe wir entdeckt werden.“ Erleichtert sah Franz mich an, Peters Schluchzen wurde leiser.
    „ Los jetzt, wir haben keine Zeit“, trieb ich sie an.
    Franz half Peter auf, der verschreckt und eingeschüchtert keine Gegenwehr leistete.
    Geduckt schlichen wir uns aus dem Stall und kein Licht war angegangen, keine Stimmen durchbrachen die Stille der Nacht. So wie wir hineingeschlichen waren, kamen wir auch hinaus, ohne von irgendjemanden bemerkt zu werden.
    Heute kann ich es immer noch nicht glauben, dass es glimpflich verlief. Das Glück war auf unserer Seite. Vielleicht lag es aber auch nur an der Loyalität der Leute aus dem Dorf, denn im Grunde entging den aufmerksamen Bürgern nichts und schon gar nicht ein Mord. So barbarisch es sich anhört: die Menschen waren froh, als Hein Kummerlich für immer von der Bildfläche verschwand.
    Gegen Mitternacht standen wir verborgen in der Dunkelheit der hohen Mauer und verabschiedeten uns im Flüsterton. Es war ein Abschied für immer, soviel stand fest.
    „ Lebewohl, Erich. Vielen Dank für … für alles.“ Franz blickte beschämt

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