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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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liefen stumme Tränen über das Gesicht. In meinen Träumen hatte ich es schon erlebt, aber dies war real und noch viel schlimmer. Heinz fand keine tröstenden Worte. Er war auf seine Art traurig, denn mit Friedrich hatte er seinen besten Freund verloren.
    Da es spät abends war, gingen wir direkt nach Hause. Rasch verzog ich mich ins Bett, aber nicht um zu schlafen, sondern um zu trauern. In meiner Hand lag das silberne Herz, das mir Friedrich zum Geschenk gemacht hatte. Es lag schwer wie Blei in meiner Hand. Hunderte von Fragen schossen durch meinen Kopf. Niemand konnte die Fragen beantworten.
    Der nächste Tag brachte keine Veränderung. Ich war blass und aß wenig. Mutter erklärte ich, es sei ein Virus, nichts schlimmes. Ich hätte ihr so gerne gesagt, was schwer auf mir lastete, aber sie durfte nicht von mir und Friedrich wissen.
    Gegen Mittag hielt ich es nicht mehr aus. Ich lief zur Lindenallee in der Hoffnung, Friedrich dort zu sehen. Vielleicht war es nur ein böser Traum gewesen, aus dem ich erwachen würde. Ich wartete Stunde um Stunde, aber er tauchte nicht auf. Laut schluchzend warf ich mich gegen unseren Baum und weinte mir die Seele aus dem Leib. Die Vögel um mich herum verstummten und trauerten mit mir. Als die Tränen versiegten, irgendwann, sah ich verschwommen, dass etwas in den Baum eingeritzt war. Ich drückte mich vom Stamm weg, um zu erkennen, was es war: In das dunkle Holz war ein Herz eingeritzt. Es umschloss zwei Buchstaben: M + F.
    Ich blinzelte und schluckte schwer. Wann hatte Friedrich dazu Zeit gefunden? Die Spuren wirkten frisch, wahrscheinlich hatte er es in der Nacht getan. Trotz meiner Traurigkeit huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Er hatte mich nicht vergessen! Mein Blick wanderte ein Stück höher. Dort baumelte ein kleines Stück Papier an einem Faden im Wind. Ein Nagel hielt es fest am Baum. Wie hatte ich es nur übersehen können! Schnell zog ich das Stück Papier aus der Schnur und rollte es auf. Die Handschrift von Friedrich erkannte ich sofort. Meine verquollenen Augen behinderten mich beim Lesen und die Worte verschwammen. Ich blinzelte ein paar Mal heftig und rieb mir ungeduldig über die Augen.
     
    Geliebte Magarete,
     
    ich habe nicht viel Zeit, aber ich kann nicht gehen, ohne Dir ein paar Worte zu hinterlassen.
    Ich bin sehr traurig, weil wir diese Nacht fliehen müssen und ich Dich nicht noch einmal sehen kann. Ich habe es erst vor ein paar Minuten erfahren. Meine Mutter hat mir ausdrücklich verboten, mit irgendjemand darüber zu sprechen. Sie hat gesagt, es ginge um Leben und Tod. So besorgt habe ich sie noch nie erlebt. Ich weiß nicht, was los ist.
    Ich weiß nur, dass mir mein Herz ganz schwer ist. Es ist schlimm für mich, Dir nicht Lebewohl sagen zu können. Ich weiß nicht, wohin wir gehen, was mit uns passieren wird.
    Aber eins weiß ich, meine Magarete, ich liebe Dich und ich werde versuchen zu Dir zurückzukehren.
     
    In Liebe
    F.
     
    Ich drückte den Brief an mein wild schlagendes Herz, das mir so viele Schmerzen bereitete. Friedrich war weg, ich konnte es nicht fassen. Einen Tag zuvor hatten wir hier gelegen und uns über die Ereignisse des Tages unterhalten. Hätte ich gewusst, dass es die letzte Möglichkeit gewesen ist, ihn zu berühren, mit ihm zu sprechen und ihn zu küssen, ich hätte den ganzen Abend und die lange Nacht mit ihm hier verbracht.
    So war dieser Brief das Letzte, was ich je von Friedrich hören sollte. So oft ich auch an dem Baum nachsah, ich fand keine weiteren Nachrichten von ihm. Irgendwann gab ich es auf. Er blieb für immer und ewig für mich verschollen.
     
    Paula hatte einen dicken Kloß im Hals. Magarete schwieg und behielt ihre Augen geschlossen.
    „Du hast nie wieder von ihm gehört?“ Schockiert über das Ende der Liebesgeschichte versagte Paula fast die Stimme.
    Magarete nickte. Schwerfällig stand sie auf. Ihre Schultern hingen tief hinab. „Der Brief ist leider irgendwann verloren gegangen. Ein kleines Stück Papier.“
    „Aber wichtig, dass er die Nachricht geschrieben hat, oder?“ Paula stand auf und trat hinter Magarete. „Wenn sie damals Hals über Kopf geflüchtet sind, muss es einen wichtigen Grund gegeben haben.“ Paula legte Magarete eine Hand auf die Schulter, die sich daraufhin langsam umdrehte.
    „Bestimmt hat es den gegeben. Es geschah so plötzlich, keiner konnte sich erklären, warum. Einige aus dem Dorf versuchten eine Verbindung zum Tod von Hein Kummerlich herzustellen. Ich habe nie

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