Lindenallee
standen und in den Töpfen rührten, Gemüse schnitten oder Fisch filetierten, schwärmte mir Heidemarie von John vor. Ich konnte sie so gut verstehen. Hatte ich doch damals gedacht, Friedrich wäre dieser Mann fürs Leben für mich gewesen!
Einige der Lästermäuler aus dem Dorf versuchten die Beziehung der Beiden kaputt zu reden, denn wie konnte eine im Gesicht entstellte Frau einen solch stattlichen Mann an Land ziehen! Wie sich das anhörte! Als ob nur äußerlich perfekte Menschen das Recht auf Liebe hätten.
Heidemaries Mutter, die sich bis dahin stets vorgeworfen hatte, bei ihrem Kind in der Aufsicht versagt zu haben, als sie sich verbrannte, stand bedingungslos hinter ihrer Tochter. Sie wischte alle sogenannten gutgemeinten Ratschläge beiseite und erlaubte Heidemarie, Ende 1945, John zu heiraten.
Die Hochzeit lag auf einem Sonntag und sie wurden in der Ordenskirche des Rittergutes getraut. Heidemarie trug das Hochzeitskleid ihrer Mutter, ein langes, weißes, spitzenbesetztes Kleid. Sie sah wunderschön aus und strahlte wie ein Engel! Heidemaries Mutter war überglücklich und vergoss an diesem Tag viele Tränen. Am Ende der Trauung musste Heidemarie sogar die laut schluchzende Mutter in den Arm nehmen und beruhigen. Das hat mich sehr gerührt und dieser Tag hat mir Hoffnung und ein Stück Glauben an die Liebe zurückgegeben.
Als ein halbes Jahr später die Amerikaner aus dem Rittergut abzogen, folgte Heidemarie John mit nach Amerika. Sie tat den Schritt über den großen Teich. Ich bewunderte und beneidete sie ein klein wenig, als sie in eine neue Welt aufbrach. In mir loderte ein Feuer, das von Woche zu Woche größer wurde. Ich wusste, ich musste die alte Heimat verlassen und mein Glück in der Welt suchen.
Ich besprach mit Heinz meinen Plan.
„ Ich möchte raus in die Welt. Ich möchte wissen, was das Leben noch zu bieten hat. Hier im Dorf versaure ich doch nur“, beschwerte ich mich. „Jetzt, wo statt der Amerikaner die Briten im Rittergut einquartiert sind, und die ihre eigenen Köche dabei haben, gibt es für mich nichts mehr, was mich hält. Wenn ich Pech habe, muss ich noch irgendeinen von den Dorftrotteln heiraten.“ Ich zog einen Flunsch.
„ Du spinnst doch Magarete.“ Heinz lachte. „Die Dorftrottel sind schon alle vergeben.“
„ Haha“, lachte ich trocken. Ich sah ihn entschlossen an. „Ich meine es ernst. Ich möchte weggehen. Ich habe einiges in der Küche gelernt, vielleicht kann ich woanders als Köchin arbeiten?“
Heinz betrachtete mich nachdenklich. „Vielleicht hast du Recht. Wenn nicht jetzt, wann dann? Aber was soll ich arbeiten? Ich habe doch nichts richtig gelernt.“ Er zweifelte an seinen Fähigkeiten, dabei konnte er alles tun, was er wollte.
„ Heinz, du bist handwerklich begabt. Du kannst mit Holz arbeiten, Dinge reparieren und was weiß ich nicht noch alles! Überleg doch mal, in den Städten ist alles kaputt, die müssen aufgebaut werden. Viele Männer sind aus dem Krieg nicht zurückgekommen, es wird jede helfende Hand gebraucht.“ Ich bemerkte an seiner Miene, wie mein Plan auf fruchtbaren Boden fiel.
„Gut. Ich bin dabei. Welche Stadt schwebt dir vor?“
„ Berlin.“
„ Was? Das ist aber weit weg!“ Seine Selbstsicherheit geriet ins Wanken. Berlin war eine Metropole, jedenfalls das, was nach dem Krieg davon übrig geblieben war.
„ Ja, Berlin.“ Der Name verursachte ein wunderbar aufregendes Kribbeln auf meiner Haut. „Bist du dabei?“ Ich sah ihn an und hoffte inständig, er würde mich begleiten. Ich tat sehr mutig, aber meine eigene Courage machte mir gehörige Angst.
„ Ja, ich bin dabei.“ Er blickte mir fest in die Augen und ich las keinen Zweifel in ihnen. Ich war sehr erleichtert meinen Bruder an meiner Seite zu wissen.
Unsere Eltern nahmen die Idee verständlicherweise nicht so begeistert auf. Berlin war unglaublich weit weg, der Krieg gerade mal vorbei und die politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland desaströs.
Wir führten viele endlose Diskussionen mit ihnen. Im Grunde ihres Herzens wussten sie, sie mussten uns ziehen lassen. Aber sie rangen uns das Versprechen ab, erst zu gehen, wenn sich die allgemeine Lage besserte. Das abgenommene Versprechen war weise von ihnen gewählt, denn eine rasche Veränderung zum Guten war vorerst nicht in Sicht. Selbst die Versorgung mit einfachen Dingen wie Brot und Milch war in vielen Städten eine Katastrophe.
Der Winter 1946/47 setzte den Menschen zusätzlich zu. Es war
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