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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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sagte, unser Schmied, der Schlaueste der Schlauen.
    Es kam ein hartnäckiger Schmerz in den Muskeln. Was ich damals noch für Muskeln hatte, weiß ich nicht, doch der Schmerz darin war da, erbitterte mich, hinderte mich daran, den Körper zu vergessen. Dann kam etwas anderes als Bitterkeit oder Erbitterung, etwas, das zusammen mit der Bitterkeit existierte. Es kamen Gleichgültigkeit – Furchtlosigkeit. Ich begriff, daß es mir ganz gleich war, ob man mich schlagen würde oder nicht, mir das Mittagessen und die Brotration geben würde oder nicht. Und obwohl ich im Schurf, in der unbegleiteten Außenstelle, nicht geschlagen wurde – geschlagen wird nur in den Bergwerken –, maß ich, in Erinnerung an das Bergwerk, meinen Mut mit dem Maßstab der Bergwerke. Mit dieser Gleichgültigkeit, mit dieser Furchtlosigkeit war eine kleine Brücke geschlagen hinaus aus dem Tod. Das Bewußtsein, daß sie hier nicht schlagen werden, daß man hier nicht schlägt und nicht schlagen wird, gebar neue Kräfte, neue Gefühle.
    Nach der Gleichgültigkeit kam die Angst – eine nicht sehr starke Angst, die Furcht, dieses rettende Leben, diese rettende Arbeit des Sieders, den hohen kalten Himmel und den ziehenden Schmerz in den abgemagerten Muskeln zu verlieren. Ich begriff, daß ich Angst hatte, von hier ins Bergwerk geschickt zu werden. Ich hatte Angst, und basta. Mein ganzes Leben lang habe ich niemals das Gute gegen Besseres tauschen wollen. Das Fleisch auf meinen Knochen nahm von Tag zu Tag zu. Neid – so hieß das nächste Gefühl, das zu mir zurückkehrte. Ich beneidete meine toten Kameraden – die Leute, die im Jahr achtunddreißig umgekommen waren. Ich beneidete auch meine lebenden Nachbarn, die etwas kauten, die Nachbarn, die sich eine Papirossa ansteckten. Den Chef, den Einsatzleiter und den Brigadier beneidete ich nicht – das war eine andere Welt.
    Die Liebe kam nicht zu mir zurück. Ach, wie fern ist die Liebe vom Neid, von der Angst, von der Bitterkeit. Wie wenig brauchen die Menschen die Liebe. Die Liebe kommt, wenn alle menschlichen Gefühle zurückgekehrt sind. Die Liebe kommt als letzte, kehrt als letztes zurück – und kehrt sie überhaupt zurück? Aber nicht nur Gleichgültigkeit, Neid und Angst waren Zeugen meiner Rückkehr ins Leben. Das Mitleid mit den Tieren kam schneller zurück als das Mitleid mit den Menschen.
    Als Schwächster in dieser Welt der Schürfen und Erkundungsgräben arbeitete ich mit dem Topographen – schleppte Meßlatte und Theodolit hinter dem Topographen her. Manchmal schnallte der Topograph sich zum schnelleren Vorwärtskommen den Theodoliten auf den eigenen Rükken, und mir blieb nur die ganz leichte, mit Ziffern bemalte Meßlatte. Der Topograph war selbst Häftling. Um den Mut zu behalten – in jenem Sommer gab es viele Flüchtlinge in der Tajga – schleppte der Topograph ein Kleinkalibergewehr, das er von der Leitung erbeten hatte. Doch das Gewehr störte uns bloß. Und nicht nur, weil es ein zusätzliches Gepäckstück auf unserer beschwerlichen Reise war. Wir hatten uns zum Ausruhen auf eine Lichtung gesetzt, der Topograph spielte mit dem Gewehr und zielte auf einen rotbrüstigen Dompfaff, der aufgeflogen war, um die Gefahr aus der Nähe zu betrachten und abzulenken. Wenn nötig – sein Leben zu opfern. Das Dompfaffenweibchen saß irgendwo auf den Eiern – nur so war die Tollkühnheit des Vögelchens zu erklären. Der Topograph legte an, und ich schob den Lauf zur Seite.
    »Nimm das Gewehr weg!«
    »Wieso denn? Bist du verrückt geworden?«
    »Laß den Vogel, und basta.«
    »Ich melde es dem Chef.«
    »Zum Teufel mit dir und deinem Chef.«
    Aber der Topograph wollte sich nicht streiten und sagte dem Chef nichts. Ich begriff: etwas Wichtiges war zu mir zurückgekehrt.
    Seit Jahren hatte ich keine Zeitungen und Bücher gesehen und längst gelernt, diesen Verlust nicht zu bedauern. All meine fünfzig Zeltnachbarn, Nachbarn im zerrissenen Segeltuchzelt, fühlten genauso – in unserer Baracke war keine einzige Zeitung, kein einziges Buch aufgetaucht. Die oberste Leitung – der Einsatzleiter, der Chef der Schürfung, der Gehilfe – kam ohne Bücher in unsere Welt herab.
    Meine Sprache, die grobe Grubensprache, war arm, arm wie die Gefühle, die um die Knochen noch lebten. Wecken, Ausrücken, Mittagessen, Feierabend, Zapfenstreich, Bürger Natschalnik, darf ich sprechen, Schaufel, Schürfgrube, zu Befehl, Bohrstange, Hacke, draußen ist es kalt, Regen, die Suppe ist kalt, die Suppe

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