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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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erfahrener Arbeiter, der nach dem Krieg nicht nur für drei Tage hergekommen war. Eines aber konnte Rubanzew schlecht – nicht nur, daß er sich mit den hofen Chefs nicht gutstand, er haßte Speichellecker und Lügner, und überhaupt paßte er nicht zu Schtscherbakow, dem Chef der Sanitätsabteilung an der Kolyma. Auf Vertragsbasis eingestellt, als eingeschworener Feind der Häftlinge angereist, sah Rubanzew, ein kluger Mann von selbständigem Urteil, bald, daß man ihn in der »politischen« Vorbereitung betrogen hatte. Die Schurken, Selbstversorger, Verleumder und Nichtstuer – das waren Rubanzews Arbeitskollegen. Und die Häftlinge – aller Berufe, darunter auch dem des Arztes – waren es, die das Krankenhaus, die Behandlung, das Ganze schmissen. Rubanzew hatte die Wahrheit begriffen und verbarg sie auch nicht. Er machte eine Eingabe über seine Versetzung nach Magadan, wo es eine Mittelschule gab – er hatte einen Sohn im Schulalter. Die Versetzung wurde ihm mündlich abgeschlagen. Nach großen Bemühungen über mehrere Monate gelang es ihm, den Sohn im Internat unterzubringen, etwa neunzig Kilometer von Debin. Seine Arbeit machte Rubanzew schon souverän, Nichtstuer und Raffzähne vertrieb er. Von diesen die Ruhe gefährdenden Handlungen wurde unverzüglich nach Magadan berichtet, an Schtscherbakows Stab.
    Schtscherbakow mochte keinen feinen Umgangston. Mutterflüche, Drohungen, das Anhängen von »Verfahren« – all das konnte für Häftlinge und für ehemalige Häftlinge taugen, aber nicht für einen Vertragsarbeiter, für einen mit Orden ausgezeichneten Frontchirurgen.
    Schtscherbakow suchte Rubanzews alte Eingabe heraus und versetzte ihn nach Magadan. Und obwohl das Schuljahr in vollem Gang und in der chirurgischen Abteilung alles eingerichtet war – mußte er alles aufgeben und abreisen ...
    Lunin und ich trafen uns auf der Treppe. Er hatte die Eigenschaft, vor Verlegenheit zu erröten. Er glühte. Übrigens »bot er mir eine Papirossa an«, freute sich über meine Erfolge, meine »Karriere« und erzählte von Edit Abramowna.
    Aleksandr Aleksandrowitsch Rubanzew war abgereist. Schon nach zwei Tagen wurde im Behandlungsraum ein Saufgelage veranstaltet – vom Chirurgiealkohol probierten der Chefarzt Kowaljow wie auch der Krankenhaus-Chef Winokurow, die Rubanzew gefürchtet hatten und nicht in die chirurgische Abteilung gekommen waren. In den Arztkabinetten gab es Saufgelage, zu denen Häftlinge geladen wurden – Krankenschwestern, Pflegerinnen, kurzum, es ging hoch her. Bei Operationen in der sterilen Abteilung gab es jetzt Sekundärheilungen, zur Versorgung des Operationsfeldes wurde nicht länger der wertvolle Alkohol verwandt. Halbbetrunkene Chefs rannten in der Abteilung hin und her.
    Dieses Krankenhaus war mein Krankenhaus. Nach Abschluß des Lehrgangs Ende 1946 war ich mit Kranken hergekommen. Vor meinen Augen wuchs das Krankenhaus heran; es war das ehemalige Gebäude des Kolymaregiments, und als nach dem Krieg ein Spezialist für militärische Tarnung das Gebäude für untauglich erklärte – inmitten von Bergen war es über Dutzende Werst zu sehen –, übergab man es dem Häftlingskrankenhaus. Seine Herren, das Kolymaregiment, rissen bei ihrem Auszug alle Wasser- und Kanalisationsrohre heraus, die man in dem großen dreistöckigen Steingebäude herausreißen konnte, und aus dem Zuschauerraum des Klubs trugen sie alle Möbel heraus und verbrannten sie im Kesselhaus. Die Wände waren zertrümmert, die Türen zerbrochen. Das Kolymaregiment war auf russische Art ausgezogen. All das hatten wir Schräubchen für Schräubchen, Ziegel für Ziegel wieder aufgebaut.
    Es waren Ärzte und Feldscher zusammengekommen, die alles möglichst gut machen wollten. Für sehr viele war das eine heilige Pflicht – ihre medizinische Ausbildung weiterzugeben, den Menschen zu helfen.
    ____
    Alle Nichtstuer hoben wieder die Köpfe nach dem Weggang Rubanzews.
    »Wozu nimmst den Alkohol aus dem Schrank?«
    »Geh, du weißt schon wohin«, verkündete mir die Schwester. »Gottseidank ist Rubanzew jetzt weg, und Sergej Michajlowitsch hat es verfügt ...«
    Ich war erschüttert und niedergeschlagen von Lunins Benehmen. Das Gelage ging weiter.
    Auf der nächsten Kurzversammlung spottete Lunin über Rubanzew:
    »Er hat keine einzige Magengeschwüroperation gemacht und nennt sich Chirurg!«
    Das Thema war nicht neu. Tatsächlich hatte Rubanzew keine Magengeschwüre operiert. Die Kranken der Inneren Abteilungen mit dieser

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