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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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aber stille Straße im Wedding zu kennen, die mir Lena als ihre Adresse genannt hat. Mein Fahrrad schließe ich nicht ab, sondern werfe es einfach vor ihrem Haus ins Gebüsch. Das Schloss der Eingangstür ist kaputt. Ich drücke sie auf und stürze die Treppen in den zweiten Stock hoch. Es ist ein ärmliches, vor vielen Jahren dürftig renoviertes Treppenhaus, das die Spuren etlicher Umzüge an Wänden und Decken trägt. Lena öffnet sofort. Sie trägt Pantoffeln, einen hellblauen Pyjama und darüber ein Kapuzen-Sweatshirt. Ihr Gesicht ist verweint, aber für den Moment hat sie sich wohl zusammengerissen.  
    »Hi Oliver. Danke, dass du kommst.«  
    Sie muss schlucken, ich trete ein und höre, wie sie die Tür hinter mir schließt. Während ich mich in dem schmalen Flur umsehe, wird mir klar, dass ich in den immerhin zehn Minuten seit ihrem Anruf gar nicht darüber nachgedacht habe, warum sie traurig ist. Irgendwie war in meinem Hinterkopf der Fall von vorneherein klar: Sie ist ein Burgfräulein, wird von einem Drachen bedroht, ich muss ihn erschlagen, und dann ist alles gut. In Wirklichkeit gibt es hier keinen Drachen, nicht einmal eine Spinne.  
    »Oliver, ich … also … es ist nur … ich habe solche Angst.«  
    Sie zieht mich den Flur entlang zu einer der Türen und zeigt in das Zimmer. Das Kinderzimmer. Ein kleiner Schreibtisch, ein paar Regale mit Spielen und Büchern, an der Wand eine wüste Mischung aus Tier- und Fußballerpostern, auf dem Boden ein paar nicht aufgeräumte Legosteine und in der Ecke ein Bett mit Ernie-und-Bert-Bettwäsche. Zwischendrin sorgen Ikea-Lichterketten für funzelig-gemütliche Höhlenstimmung.  
    Lena zeigt auf das leere Bett.  
    »Bommi ist das Wochenende über beim GAAZ . Am Mittwoch ist die Verhandlung. Er wird ihn das ganze Wochenende über nach Strich und Faden verwöhnen und ihm nebenbei immer wieder ins Gehirn blasen, was für eine schreckliche Mutter ich bin. Er wird ihn dazu bringen, dass er dem Richter sagt, dass er im Zweifelsfall lieber … zu Papa will.«  
    Ich konnte ihr Weinen schon am Telefon kaum aushalten. Jetzt, da sie einen Meter vor mir steht, ist es völlig unerträglich. In mir steigt ein Schmerz hoch, als hätte ich ein glühendes Schwert verschluckt.  
    »Und ich habe versucht, es zu machen … wie meine Freundin gesagt hat. Ich habe mir das Schlimmste vorgestellt und … ich kann mir … das Schlimmste nicht mehr … vorstellen, und mich … damit abfinden. Es macht mich … kaputt. Wenn ich daran denke, dass … dieses Bettchen für immer … leerbleibt, dann …«  
    Lena geht in die Knie und versenkt ihr Gesicht tief in der Ernie-und-Bert-Bettdecke, die ihr Schluchzen trotzdem kaum dämpft. Ich kauere mich neben sie, lehne mich mit dem Rücken an das Bett, schaue geradeaus und sage nichts. Der Rausch von der Party kreist immer noch durch meinen Kopf, aber ich habe nichts mehr damit zu tun. Er ist wie ein lästiger Affe, der mich kreischend an den Haaren zieht, während ich mir von Zeit zu Zeit mit dem Handrücken die Tränen aus meinem Gesicht wische. Was soll ich sagen? Es gibt nichts zu sagen. Es ist die Hölle.  
    Eine kleine Ewigkeit später taucht Lena wieder aus der Bettdecke auf, dreht sich um und setzt sich neben mich. Ich sehe sie an, und sie vergräbt ihr Gesicht in meiner Schulter. Ihr Schluchzen ist leiser geworden, aber noch verzweifelter. Wenn ich wenigstens etwas hätte, was ihr Hoffnung gibt. Wenn ich ihr Anwalt wäre, oder sonst wie juristisch beschlagen, und den Fall in allen Details kennen würde. Ich könnte ein paar Strohhalme aufstellen, an die wir uns klammern würden. Und die stickige Stille wäre auch gebrochen. Aber so …  
    Warum hat sie eigentlich nicht Kurt gefragt? Wenn es so wäre, wie ich es mir vorgestellt habe, hätte sie ihn doch bestimmt gefragt? Aber vielleicht konnte er nicht … Blödsinn, natürlich hätte er gekonnt. Ich gestehe mir ein, dass ich das zu gerne wissen würde, obwohl es im Moment ganz unwichtig ist. Ich kenne ja die Wahrheit. Weder Kurt noch ich konnten ihr Herz gewinnen, weil sie im Moment die schlimmsten Sorgen der Welt hat.  
    ***  
    Lena hat mich gebeten, bei ihr zu bleiben. Wir liegen in ihrem Bett, sie in ihrem hellblauen Pyjama zu einer Kugel zusammengerollt unter ihrer Decke, ich angezogen auf dem Rücken ausgestreckt. Ihre Stirn drückt sanft gegen meine Schulter, und sie umklammert meinen Arm. Ich weiß nicht, wie lange schon, aber es kommt mir wie eine

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