Linksaufsteher: Ein Montagsroman
dass ich mich schuld daran fühle, dass jetzt irgendeine arme Firma pleitegeht, nur weil ich nicht bereit bin, ein paar Worte mit einer meiner tollen Stimmen für sie ins Mikrofon zu sprechen.
Mein Gott, ist die Liste lang! Und mir fällt immer mehr ein. Hätte nie gedacht, dass ich schon so viele Montage erlebt habe. Wenn der Traum wirklich bedeutet, dass ich das alles wiedergutmachen muss, bin ich aufgeschmissen. Vielleicht hatte es doch ausschließlich mit der Rollkoffer-Frau zu tun? Die Dame mit den wunderbaren Lachgrübchen, in die ich, seit wir uns noch mal getroffen haben, noch mehr verliebt bin? Aber warum dann die Zöpfe? Und warum habe ich das Gefühl, dass es etwas Gigantisches ist, das ich wiedergutmachen muss? Etwas, das viel schwerer wiegt, als die ganzen Leute, die ich angepflaumt habe … Zwecklos, ich komme nicht drauf. Nicht heute. Hoffentlich träume ich nächsten Sonntag noch was dazu, was mich weiterbringt.
Ich nehme das Wolf-Haas-Buch vom Nachttisch und schlage es da auf, wo ich einen Bierdeckel aus dem Valentin als Lesezeichen reingesteckt hatte. Nächsten Donnerstag will ich sie wieder im Coffee & Bytes treffen. Sie, die mit jedem Tag, der vergeht, eine Herzkammer mehr in mir bewohnt, aber deren Namen ich noch nicht einmal weiß. Nur, dass sie Wolf Haas liest.
Dienstag
Natürlich habe ich letzte Nacht wieder nichts geträumt. Nachdem ich den Knochenmann gegen eins ausgelesen hatte, bin ich weggekippt, und im nächsten Moment hat der Wecker gepiept. So hat es sich jedenfalls angefühlt. In Wirklichkeit waren sieben Stunden rum. Einfach verpufft, ins Nichts. Nicht dass ich müde gewesen wäre, sieben Stunden Schlaf reichen mir dicke. Aber diese Leere, die eine traumlose Nacht hinterlässt, ist manchmal schlimmer als ein Blick in ein aufgerissenes Schlangenmaul. Und morgen wird es wieder so sein. Es bleibt immer das Gleiche. Meine gesamte Wochenration Traum-Energie wird zuverlässig von Sonntag auf Montag verballert, ausgerechnet in der Nacht, in der ich besser nichts träumen sollte.
Dieser ganze Mist hat ein paar Monate, nachdem ich die ersten Sprecherjobs für Elvin und Adrian gemacht habe, angefangen. Und es war genau eine Woche, nachdem ich aus meiner WG ausgezogen bin, das weiß ich noch genau. Das ist beides dafür verantwortlich, da bin ich sicher. Aber genauso sicher ist, dass ich bei beidem nicht mehr zurück kann. Für meinen Job gibt es keine Alternative, außer wieder, wie früher, als Museumsaufsicht zu arbeiten und noch mehr Rückenprobleme zu kriegen. Und in meinem WG -Zimmer wohnt natürlich auch schon längst jemand anderes.
Aber heute Morgen habe ich mich nicht lange darüber geärgert. Ich dachte wieder an die Frau mit dem Rollkoffer, umarmte meine Bettdecke mit Armen und Beinen und drückte sie so fest an mich, dass die Daunenfedern aufseufzten. Jetzt gehe ich durch meinen Innenhof, den ein talentierter Grünplaner zu einer Mischung aus mediterranem Patio und Zengarten gestaltet hat, und schließe mein Fahrrad auf. Das Licht bricht sich angenehm in den grünlich schimmernden Mosaikfliesen in der Hofdurchfahrt. Die neue, dezent blaugrau gestrichene Eingangstür mit Glaseinsatz lässt sich trotz ihres Riesengewichts leicht öffnen. Während ich auf meinen Sattel klettere, geht sie in Zeitlupe hinter mir zu und kuschelt sich mit einem leisen zufriedenen »Zaklack« zurück ins Schloss. Ich trete in die Pedale. Die Fassade zieht an mir vorbei.
Keiner kann sagen, dass dieses Haus nicht wunderschön und mit viel Fingerspitzengefühl saniert worden ist. Sie haben das marode alte Treppenhaus erhalten und sorgfältig ausgebessert, genau wie die reich verzierten hölzernen Wohnungseingangstüren. Alles, was neu gemacht wurde, ist aus tollem Material, sieht toll aus und fasst sich toll an, und alles, was verändert wurde, wurde zum Besseren verändert, wie zum Beispiel die großen Balkone, die drangebaut wurden, und die französischen Fenster zum Hof, die mehr Licht in die Wohnungen hereinlassen.
Man könnte glauben, dass mich ein Schauder packen müsste, wenn ich an das heruntergekommene Haus denke, in dem ich meine WG -Zeit verbracht habe. Allein schon das Klo ohne Fenster und ohne Belüftung, das wir uns zu fünft teilen mussten, war ein Graus. Oft genug konnte man sich da höchstens mit Taschentuch vor Mund und Nase reinwagen. Und komisch, heute gibt es Situationen, in denen ich mir einbilde, dass der Duft sogar irgendwie was hatte. Und dass
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