Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Prima. Zuckerstreuer-Anton hat zwar nur ein Auge, aber es starrt mich sehr wissbegierig an. Ich erzähle ihm leise im Schnelldurchlauf alles von letzter Woche. Er hört gut zu. Manchmal bilde ich mir sogar ein, dass er nickt. Und er sieht es genau wie ich, es kommt nun alles darauf an, einen guten Plan für den bevorstehenden Coffee & Bytes-Tag auszuhecken. Ich darf mir bei meinen Überlegungen keine Blöße geben. Zuckerstreuer-Anton denkt mit, und wenn meine Ausführungen auch nur die geringste Angriffsfläche bieten, wird er sofort reinhauen, so ist er nun mal. Ich sehe ihm fest in die Schüttöffnung.
»Also, sie wird hereinkommen, ich werde rumsitzen. So viel ist sicher. Jetzt mal überlegen … Szenario 1: Wer wagt, gewinnt. Ich stehe einfach auf und sage ihr, dass ich nur da bin, um sie wiederzusehen … Na klar. Allein schon bei dem Gedanken daran wird mir so heiß, als würden ein paar Atomkerne in mir schmelzen. Nein, Zuckerstreuer, das schaffe ich einfach nicht. Dafür bin ich nicht der Typ, oder, wie Elvin und Adrian sagen würden, da muss die Performance so absofuckinglutely bis ins letzte Detail stimmen, dass selbst der Papst sofort die Hosen runterlassen würde.
Lieber Szenario 2: Slowly, but surely. Ich tu einfach so, als wäre ich jetzt neuerdings Coffee & Bytes-Stammgast. Ich sitze an meinem Tisch und bearbeite meinen Laptop. Wenn sie reinkommt, grüße ich nur kurz, schau sofort wieder auf meinen Bildschirm und tippe konzentriert rum, bis sie wieder geht. Das mache ich dann Woche für Woche, bis sie sich an mich gewöhnt hat, und dann … und dann … Ja, ich weiß schon, Zuckerstreuer, ich sollte lieber ich selber sein, nicht irgendeine Rolle spielen, schon klar.
Wie wäre das hier? Szenario 3: Ich verstecke mich draußen, warte bis sie reingegangen ist. Dann … kann ich reingehen, mich umschauen, freudestrahlend auf sie zu schweben, und … He, sag mal, kann es sein, dass du gerade mit deinem Auge gerollt hast, Zuckerstreuer? Hast du vielleicht einen besseren Vorschlag, hm?«
Manno. Früher war das alles viel einfacher. Da saß ich in meiner WG herum, und die Leute kamen und gingen. Und klar, früher oder später schneite auch mal ein Mädchen herein, bei dem es gefunkt hat. Und über das Wiedersehen musste ich mir nie Gedanken machen. Ich brauchte einfach nur das zu tun, was ich sowieso jeden Tag tat: mit meinen Mitbewohnern in unserer WG -Küche sitzen und in Endlosschleife Blödsinn reden. Pläne waren nicht nötig, keiner hatte es eilig, ein Paradies. Irgendwann kam sie wieder. Und dann, irgendwann noch später, eine Party, ein Konzert oder einfach nur irgendein Umzug, bei dem wir beide mithalfen, ein Blick hier, eine Berührung da, ein Kuss im Hauseingang, es lief wie von selbst. Tobi hatte einfach Glück, dass er in der Phase gleich die Richtige fürs Leben gefunden hat. Diana und er werden bestimmt schon das erste Kind in die Welt gesetzt haben, während ich immer noch in irgendwelchen Cafés darauf warte, dass die Frau mit dem Eichhörnchenblick …
Anton! Na endlich. Er und sein Vater stehen auf einmal vor der Scheibe. Ich rudere ungeduldig mit den Armen, während der Zuckerstreuer beleidigt dreinguckt. Als die beiden hereinkommen, kann ich mir nur mit Mühe ein vorwurfsvolles Grummeln verkneifen.
»Hallo Anton, hallo Gero.«
»Hallo Herr Oliver.«
Gero sagt immer »Herr Oliver« zu mir. Ich glaube, ich würde die Hälfte der Menschheit verprügeln, wenn sie »Herr Oliver« zu mir sagen würde, und dazu müsste es noch nicht einmal Montag sein. Gero hat aber die Gabe, so zu lächeln, dass man ihm nichts übelnehmen kann, nicht mal ein »Herr Oliver«.
»Okay, Anton, sei schön lieb. Ich würde ja so gerne noch bei dir bleiben, aber du weißt ja …«
»Ja, ich weiß, du bist sowieso schon zu spät dran für deine Arbeit, und Mama ist schuld, dass du immer Ärger mit deinem Chef kriegst.«
»Ich will dich da ja nicht mit reinziehen, Anton, aber wenn deine Mutter nur eine Stunde früher kommen würde, wäre für mich vieles leichter … Aber sie hat sicher was Wichtiges zu tun. Also dann, machs gut, mein Liebling, und pass gut auf Herrn Oliver auf.«
Noch ein letztes Schelmenzwinkern und weg ist er.
Anton setzt sich und zieht etwas aus einer Plastiktüte.
»Hat mir Papa gekauft.«
»Waaah! Was …?«
»Das ist ein Boba-Fett-Helm.«
»Weiß ich.«
Antons Augen weiten sich.
»Echt?«
»Glaubst du,
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