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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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das Mädchen mit den Zöpfen. Wieder dreht sie sich nicht um. Aber diesmal sehe ich noch mehr. Sie steht vor einem Fenster. Ein großes Fenster, das von breiten hölzernen Sprossen unterteilt wird. Und ich sehe den Fenstergriff. Ich kenne diesen Fenstergriff. Aber woher nur? Woher nur, verdammt? Bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, löst sich alles wieder in Luft auf. Ich starre ins Leere und mir ist flau im Magen.  
    »Hallo, noch da?«  
    »Moment, Tobi.«  
    Eben dachte ich noch, mir wird schlecht, aber es ist wohl mehr so, dass mein Hirn gerade unbekannte Regionen in sich selbst entdeckt hat und darüber ins Staunen gerät.  
    »Mir ist da etwas klargeworden.«  
    »So?«  
    »Mein Sonntagnachtproblem. Also, du weißt …?«  
    »Na klar, hast du schon drölfzig Mal erzählt: Erst kannst du nicht einschlafen, weil du an die Arbeit mit Elvin und Adrian denken musst, und wenn es dann doch klappt, träumst du Mist.«  
    »Ja. Angstträume. Kein tieferer Sinn.«  
    »Ich teil schon mal aus.«  
    »Und letzte Nacht dann auf einmal doch.«  
    »Was?«  
    »Sinn. Ich glaube, ich habe verstanden. Das Mädchen mit den Zöpfen steht nicht für eine einzelne Person, sondern für viele.«  
    »Wow. Für wen denn?«  
    »Es steht für alle, mit denen ich mich in den letzten Monaten montags rumgestritten habe.«  
    »Och, wie langweilig.«  
    »Findest du?«  
    »Und außerdem unlogisch. Warum legst du dich denn immer mit den Leuten an? Wegen der schlechten Nächte, an denen die Träume schuld sind. Da braucht doch jetzt nicht auf einmal ausgerechnet der Traum daherkommen und du, du, du sagen.«  
    »Hm.«  
    »Ich teil aus.«  
    Schrott, Schrott, Schrott …  
    »Vielleicht ist es seit letzter Nacht anders? Verstehst du, das war ein besonderer Traum. Der passt nicht in die Reihe mit Monstern und jodelnden Felsbrocken und Elvins und Adrians. Und, das ist mir jetzt klar geworden, der hatte was mit mir zu tun. Da war etwas, was ich wiedererkannt habe.«  
    »Wow, was denn?«  
    »Ein Fenster. Mir fällt aber ums Verrecken nicht ein, woher ich es kenne.«  
    »Ach, mach dir keine Sorgen. Nächste Woche wirst du wieder erstochen, zerrissen und aufgefressen, und alles ist wie früher.«  
    »Nein, eben nicht. Letzte Woche das mit der Rollkoffer-Frau, in die ich sofort verliebt war, jetzt das mit dem Traum – da ändert sich gerade so richtig was in meinem Leben, siehst du das nicht?«  
    Jeder andere hätte mich jetzt lange besorgt angesehen und mir die Nummer seines Arztes rausgesucht. Tobi nicht. Einer der Momente, in denen ich einmal mehr weiß, warum er mein bester Freund ist.  
    »Wenn du mich fragst, steig einfach auf eine Vier-Tage-Woche um und mach die Montage frei. Dann ändert sich wirklich was.«  
    »Ja, du hast ja recht, sollte ich wirklich mal machen.«  
    »Fangen wir an.«  
    »Nein, jetzt nicht. Ich muss weg. Dringend.«  
    »Na gut, bis dann.«  
    »Findest du mich komisch?«  
    »Ja, ist aber okay.«  
    ***  
    Ich sitze auf meinem Bett und schreibe eine Liste mit allen Montagsuntaten, die ich wiedergutmachen muss. Man könnte auch sagen, ich spiele gerade die Eröffnungsszene meiner Lieblingsserie »My Name is Earl« nach. Der Unterschied ist nur, dass ich dabei nicht dauernd von Karma rede, und dass ich dabei nicht halb so optimismusbesessen lächele wie der niedliche Earl Hickey. Gut ist dagegen, dass ich, im Gegensatz zu ihm, kein Gipsbein und keine Halskrause habe und sofort loslegen könnte. Aber dafür ist jetzt leider die falsche Tageszeit. Ich kann nicht um halb zwölf abends noch bei irgendjemandem klingeln und sagen: »Mein Name ist Oliver Krachowitzer. Ich habe Sie vor vier Wochen so angeschrien, dass Ihr Baby aufgewacht ist, und das nur, weil Sie mit Ihrem Kinderwagen mein Fahrrad zugeparkt hatten. Ich möchte das wiedergutmachen.«  
    Ich weiß aber ehrlich gesagt auch nicht, ob ich das tagsüber hinkriegen werde. Und ob mir was einfallen wird, was ich als Wiedergutmachung tun könnte. Und wie ich überhaupt herausfinden soll, wo die Frau mit dem Baby wohnt. Ich weiß noch nicht einmal sicher, ob ich es nächsten Montag fertigbringen werde, mich mit niemandem anzulegen, auch wenn ich es mir jetzt noch so fest vornehme. Tobi hat völlig recht, ich sollte als Erstes probieren, auf Vier-Tage-Woche umzusatteln, und sehen, wie es mir damit geht. Aber die Gesichter von Elvin, Adrian und all den anderen, wenn ich mal »nein« sage … Sie schaffen es immer,

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