Linksträger: Roman (German Edition)
geöffnet haben. Ranschids Schlemmereck bietet neben Pizza so ziemlich alles an, was es auf Gottes Erden für Geld zu kaufen gibt. Nudeln, Salate, Schnitzel, Thai-Food, Döner, Pasta, Steak und Sushi. Alles ist in der Frischeskala wohl eher im unteren Drittel anzusiedeln, aber wen interessiert das schon nachts im Bahnhofsviertel? Jedenfalls bekommt der Begriff all you can eat in solchen Läden eine völlig neue Bedeutung. Man sollte sich allerdings überlegen, den Slogan noch um die Untertitel all your Magen can aushalten oder all you can kotz erweitern. Ich bin mir sicher, dass ich auch pürierte Haifischflossensuppe oder frittierte Pinguinschnäbel bekommen würde, wenn ich nur danach fragen würde.
Im Schlemmereck sind nur wenige Personen anwesend. Eine ältere Dame sitzt mit ihrem Dackel einsam an einem Ecktisch. Sie dürfte um die siebzig sein, trägt ihr toupiertes Haupthaar in zartem Friedhofsblond und dürfte hier vor Jahren von ihren Enkeln vergessen oder ausgesetzt worden sein. Direkt daneben pubertiert eine Gruppe junger Männer vor sich hin und verspeist dabei eine große Familienpizza gänzlich ohne Besteck und Tischmanieren.
»Guten Abend«, rufe ich in die Runde, und wir nehmen an einem der freien Tische im vorderen Drittel Platz. Der obligatorische Blick in die Karte ist noch obligatorischer als sonst, denn ich muss Falco etwas mit Pilzen unterjubeln, die in etwa meinen Zauberpilzen ähneln.
Nach einem kurzen Blick klappt Falco seine Karte schon wieder zu. »Ich nehm einen türkischen Salat.«
Das glaubst aber auch nur du, denke ich. Wie will ich denn einem Salat meine Pilze unterjubeln? Als Gastgeber übernehme ich die Gesamtbestellung.
»Nein, den willst du nicht. Salat ist aus.«
»Woher weißt du das?«
»Das steht da auf dem Schild.«
Ich deute auf eine der vielen fremd anmutenden Schriften über der Theke, die wahrscheinlich nur Werbung für indisches Bier darstellen.
»Kannst du das lesen?«
»Klar, ich habe mal einen Volkshochschulkurs in Hindi gemacht.«
»Wow.« Falco ist beeindruckt. Das wäre ich auch, wenn es stimmen würde. »Du steckst voller Überraschungen, Robert.«
»O ja, du glaubst gar nicht, wie recht du damit hast.«
Er klappt die Menükarte wieder auf und legt sie nach einem weiteren Blick erneut zur Seite.
»Na gut, dann nehme ich vier Sushi-Maki.«
Der Kerl treibt mich in den Wahnsinn.
»Das geht nicht. Das Sushi hier ist … verseucht.«
»Was? Was meinst du mit verseucht? Wodurch?«
Ja, wodurch eigentlich? Egal durch was, es sollte mir umgehend einfallen. Also werfe ich erneut den Ausredemotor an: »Die beziehen ihr Sushi direkt aus Japan. Das ist billiger wegen … Fukushima.«
»Du lieber Himmel.« Falco greift abermals zur Karte.
Ich wusste, ich würde ihn mit Atomkraft kriegen.
»Okay, dann eine Portion Penne mit Gorgonzolasoße. Ich hoffe, die ist selbst gemacht und aus ökologischem Anbau.«
Wir sind hier im Bahnhofsviertel von Frankfurt. Das Einzige, was hier ökologisch angebaut wird, sind die Haschpflanzen in den Hinterhöfen.
»Das geht leider auch nicht«, antworte ich und versuche, höflich zu bleiben.
»Warum? Ist der Gorgonzola auch aus Japan?«
»Nein, aber die Nudeln sind hier total matschig. Schau dir doch mal den Koch an.« Wir drehen uns in Richtung des Eingangs, wo der nette, indisch wirkende Koch gerade eine frisch belegte Pizza in den Steinofen schiebt. »Was fällt dir auf? Was stimmt an diesem Bild nicht?«
»Keine Ahnung, was ist mit ihm?«
»Das ist ein Afghane.«
»Ja und?«
»Du kannst doch bei einem Afghanen keine Pasta bestellen. Woher will ein Afghane denn wissen, wie man Nudeln macht? Das kann doch nichts werden.«
»Verstehe. Okay, dann sag du mir, was ich nehmen soll.«
Na endlich. Wurde auch Zeit. Meine Ausreden wurden bereits knapp.
»Eine Pizza. Wie ich. Mit Champignons.«
Falco wirkt verwirrt. »Pizza, aber das ist doch genauso wenig afghanisch wie Nudeln.«
Okay, das war taktisch unklug. Schnell versuche ich einen plausiblen Grund zu finden, der die Ursprungsgeschichte des Pizzabackens nach Asien verlegt.
»Pizza? Ja, das, das … äh, kann Ranschid aber. Sein Vater war … Pizzabäcker in Kabul.«
»In Kabul gibt’s Pizza?«
»Ja klar. Pizza ist da sogar eine Art Nationalspeise. Noch nie was von ›Pizza Kabul‹ gehört?«
»Nein.«
Ich auch nicht, denke ich und male meine Lügengeschichte weiter schön bunt aus.
»Echt nicht? Ist hier in Frankfurt der letzte Schrei.«
»Tatsächlich? Das ist
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