Linksträger: Roman (German Edition)
du keine Ahnung hast, und besorg mir das Zeug einfach.«
Das fluchende Kind, das hier zähnefletschend vor mir im Bett sitzt, erinnert mich zunehmend an das kleine Mädchen aus Der Exorzist. Genau, die Kleine, die dem Pfarrer zur Begrüßung erst mal ordentlich ins Gesicht kotzt. Das lässt mich wachsam sein, und ich weiche erschrocken zurück auf meine Bettseite. Schnell überdenke ich meine Chancen, einen Exorzismus durchzuführen. Immerhin könnte mir die Teufelsaustreibung bereits mit einem Glas Gurken, vier Milcheis und zwei Päckchen Toffifee gelingen. Eine vergleichbar überschaubare Aufgabe.
Na dann. Was bleibt mir auch schon anderes übrig? Besessen und schwanger ist eine unschlagbare Kombination.
Verschlafen reibe ich mir erneut die Augen und schaue zum Wecker, der mir signalisiert, dass die Geschäfte längst von ihren Ladenschlusszeiten Gebrauch gemacht haben, und starte einen letzten Versuch: »Jana, es ist kurz vor zwei Uhr nachts. Wo soll ich denn um diese Uhrzeit Spreewaldgewürzgurken herbekommen?«
Doch die vom Schwangerschaftsteufel Besessene kennt kein Erbarmen: »Das ist mir fuck egal, Robert. Und wenn du nach Berlin fahren musst, um die Scheißdinger mit deinen eigenen Händen aus dem Spreewaldboden zu buddeln. Besorg mir jetzt die Scheißgurken – oder ich lass mich scheiden.«
»Scheiden? Aber wir sind doch nicht mal verheiratet.«
»Robert!«
Oh, jetzt geht es wieder los. Jana hat binnen Sekundenbruchteilen das Dämonengesicht gegen eine weinerliche Miene getauscht. Die kenne ich zwar bereits, aber das macht es auch nicht viel besser. Das Weinerlich-Gesicht kann nämlich in einem nahtlos fließenden Übergang in einen monumentalen Weinkrampf übergehen. Dieses Phänomen setzte ungefähr in der achten Schwangerschaftswoche ein und hat sich seither umgekehrt zum Geburtstermin entwickelt. Je geringer die Zeit bis zur Niederkunft, desto gewaltiger die Detonation der Weinkrämpfe. Sie kommen schubweise, aber mit der zerstörerischen Kraft einer V2-Rakete. Ich muss umgehend den Rückzug meiner Truppen einleiten. Dann doch lieber eine nächtliche Fahrt ins Berliner Umland zur Gurkenernte unternehmen.
»Okay, ganz ruhig, Jana. Ich meinte ja nur, dass ich …«
»… es ist schließlich auch dein Kind, Robert. Du kannst mir nicht einfach erst meine Figur versauen und mich dann einfach so sitzen lassen … allein und hungernd.«
O Gott, es ist schlimmer, als ich dachte. Sie schreckt ja heute vor gar nichts zurück. Janas zitternde Mundwinkel verziehen sich zu einem dünnen Sichelmond, und ihr Gesicht springt zwischen der Miene eines Kleinkinds und dem eisigen Lächeln von Batmans Widersacher Joker hin und her. Der sichere Hinweis, dass in den nächsten Sekunden die Tränenschleusen geöffnet werden und der Countdown zum Abschuss der V2-Rakete gestartet wird. Jetzt gilt es, Schadensbegrenzung zu betreiben. Und dies lässt nur eine Möglichkeit zu: die uneingeschränkte und komplette Kapitulation meinerseits.
10, 9 …
»Alles klar, Jana, kein Problem.«
»Scheiße, kein Problem, du liebst mich nicht mehr. Du findest mich fett und hässlich.«
… 8, 7 …
»Was? Was redest du da für einen Blödsinn?«
»Siehst du, du findest sogar, dass ich blöd bin.«
… 6, 5 …
»Nein, nein, so war das nicht gemeint.« Noch in meine Schlafsachen gekleidet hüpfe ich aus dem Bett und zieh mir meine Jeans über. »Siehst du, ich bin schon aufgestanden. Und die Hose habe ich auch schon an. Ich fahr sofort los.«
»Wirklich?«
Fließender Übergang Teil drei. Hier geht’s ja zu wie bei einer Schizophrenen. Binnen Sekundenbruchteilen wandelt sich ihr Gesichtsausdruck nun zu dem einer unschuldigen Hello-Kitty-Figur. Zumindest wurde der Countdown der Rakete erfolgreich gestoppt. Und dennoch fließen Tränen. Hä, warum das denn jetzt?
»Schatz, das ist so lieb von dir.« Jana winkt mich zu sich und drückt ihren Kopf weinend an meinen Bauch. »Du bist ein toller Mann. Danke.«
Diese emotionalen Schübe soll jemand verstehen. Egal, Hauptsache, Hello Kitty bleibt mir für die nächsten Stunden erhalten.
»Kein Problem, Schatz. Ist doch gar keine große Sache, ich wollte sowieso noch mal ’ne Runde raus.«
Janas letzter Schluchzer verebbt, und ihr Kopf schießt katapultartig von meinem Bauch direkt vor mein Gesicht.
»Warum?«
»Wie, warum?«
Zack, Hello Kitty ist tot, dafür ist Joker wieder da.
»Warum du sowieso noch mal rauswolltest? Wolltest du abhauen? Ist dir das jetzt schon zu viel?
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