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Linksträger: Roman (German Edition)

Linksträger: Roman (German Edition)

Titel: Linksträger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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Eheberatung auf tibetischer Chakrenlehre, Mitglied im Deutschen Verband der Schamanen und Esoterikfreunde e. V.«
    »Klingt doch gut – oder, Robert?«
    »Na ja, wenn du meinst.«
    Nach zweimaligem Läuten erklingt die oblatendünne Stimme einer Frau.
    »Kuhlig-Semmrau?«
    »Äh, ja, hier sind Robert Süßemilch und Jana Klopp. Wir hatten per Mail mit Ihnen einen Termin für die Schwangerschaftsbegleitung ausgemacht.«
    »Ach ja, natürlich, das junge Pärchen. Ich erinnere mich. Kommen Sie rauf. Vierter Stock. Ich bin gerade noch in einer Telefonsitzung, aber Sie können schon mal im Wartezimmer Platz nehmen.«
    Der Türsummer ertönt. Wir schieben uns in den Hausflur und erkennen, dass Frau Kuhlig-Semmrau zwar über viele Titel und Qualifikationen verfügt, jedoch über keinen einzigen Aufzug. Besonders Jana stößt das unangenehm auf.
    »O ne, oder? Wie kann man denn Schwangerschaftskurse im vierten Stock anbieten und keinen Aufzug haben? Das geht ja mal gar nicht.«
    »Tja«, ich grinse, »ich würde dich ja gerne tragen, aber mein kleiner Twingo-Motor schafft es leider nicht, dich nach oben zu schleppen.«
    »Idiot.«
    Wir beginnen den Aufstieg und werden Stockwerk für Stockwerk kurzatmiger, wobei ich nicht weniger hechele als meine hochschwangere Freundin. Endlich erklimmen wir den Gipfel des vierten Stockwerks, wo uns bereits eine geöffnete Praxistür erwartet.
    Wir treten ein.
    Schon im Flur werden wir von einer zwölfköpfigen Figur empfangen, die uns wie ein menschlicher Irrgarten anlächelt. An den beiden Seiten des Flurs befinden sich jeweils zwei asiatische Kunstgemälde von trächtigen Tieren an den Wänden. Eine goldene Kuh und eine Sau mit Zepter im Maul auf der linken, ein weißes Kaninchen und ein Affenweibchen mit zwei Schwänzen auf der rechten Seite. Allesamt hat der Künstler nicht nur sehr abstrakt, sondern darüber hinaus mit überdimensionalen Schwangerschaftsbäuchen ausgestattet. Wir folgen dem Gang und vernehmen von irgendwoher orientalische Flötenmusik. Sogleich mache ich instinktiv einen großen Bogen um einen am Boden stehenden Weidenkorb aus Angst, dass sich sogleich eine Kobra daraus erheben könnte, um ihren Tanz aufzuführen.
    »Jana, vielleicht wäre so ein klassischer Vorbereitungskurs doch besser gewesen.«
    »Nein, das passt schon.« Meine Freundin schüttelt den Kopf, sieht dabei allerdings selbst nicht mehr so überzeugt aus. »Das … das ist schon okay.«
    Auf eine der weißen Türen, die vom Flur abgehen, ist mit roter Fingerfarbe das Wort Wartezimmer geschrieben worden. Es erinnert mich an meine Kindergartenzeit, in der wir auch viel mit Fingerfarbe arbeiten durften und ähnliche Kunstwerke zustande brachten. Vielleicht basteln wir mit Frau Kuhlig-Semmrau im Anschluss auch eine Laterne für Sankt Martin oder backen uns einen schönen Sandkuchen mit Smarties drauf.
    »Da müssen wir entlang.« Ich deute auf die Schrift. Wir treten ein und bleiben sogleich wie angewurzelt stehen, denn das Wartezimmer hält einige Überraschungen für seine Gäste bereit. Zunächst einmal erinnert das gesamte Interieur eher an eine skurrile Mischung aus Thai-Imbiss und Sechzigerjahre-Puff. Überall hängen Teppiche mit Buddhaköpfen an den Wänden, und unzählige Holzfiguren mit erigiertem Penis haben sich im Wartezimmer versammelt, um die Gäste des Hauses mit ihren Standing Ovations zu begrüßen. In der Mitte des Raums plätschert ein kleiner, pittoresk anmutender Zimmerspringbrunnen. Bei diesem hat sich der Künstler noch einen besonders femininen Ursprung des Wasserstrahls erdacht. Der schießt nämlich einem schwangeren Affenweibchen zwischen den weit gespreizten Schenkeln hervor, um sich sodann in einem weißen Becken zu sammeln. Mich erinnert es an die Pissrinne des Oktoberfests samt Sammelbecken. Außerdem qualmt und stinkt es in allen Ecken des Wartezimmers nach Weihrauch und Myrrhe, als wären gerade die Heiligen Drei Könige in einer Prozession quer durchs Zimmer marschiert. Jana und ich schauen uns entgeistert an.
    »Bei dem ganzen Geplätscher hier drin, muss ich erst mal aufs Klo, Robert. Mir platzt gleich die Blase.«
    »Okay, ich warte hier.«
    Jana schiebt sich grazil wie ein Bundeswehrpanzer zurück in den Flur und verschwindet hinter einer mannshohen Hydrokultur. Ich schaue mich derweil nach einem Sitzplatz um, doch alles, was ich entdecke, sind vier granulatgefüllte Ledersitzsäcke in der dezent gehaltenen Signalfarbe Orange . Vorsichtig lasse ich mich wie beim

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