Linksträger: Roman (German Edition)
nur schon etwas gearbeitet.«
»In der Tat. Ihr Partner hat Fortschritte gemacht und war sehr mutig. Er hat sich mir durch einen weiblichen Uterus hindurch vorgestellt.«
»Ach, wirklich? Und dabei beherrscht er das mit dem Handschlag eigentlich doch ganz ordentlich.«
»Nein, nein. Das war mehr, Frau Klopp. Er hat sogar eine eigene Interpretation durchlebt und sich nicht nur meiner, sondern der allmächtigen Weiblichkeit durch einen Anus genähert.«
»Aha«, sagt Jana ungläubig. »Ich hätte mich zwar gefreut, wenn er sich vielleicht im Stehen und wie ein normaler Mensch Ihrer Weiblichkeit genähert hätte … aber okay.«
»Oh, ich sehe schon, wir haben einiges aufzuarbeiten. Kommen Sie. Wir gehen in meinen Energieraum.«
Ich verdrehe die Augen und deute Jana mit einem Scheibenwischer an, dass nicht nur die Kleidung von Frau Kuhlig-Semmrau blau scheint.
»Ich glaub, die ist besoffen und dazu noch völlig durchgeknallt«, flüstere ich Jana vom Flokati aus zu. »Aber irgendwie gut.«
»Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie es ist, die hier im Raum ein Problem hat, Robert. Nun steh endlich auf. Was machst du da eigentlich am Boden?«
»Ich war ’ne Kackwurst.«
»Du warst was?«
»’ne Kackwurst, aber nicht irgendeine. Ich war die Kackwurst eines tibetischen Yaks.«
»O Gott, was habe ich mir da angetan?« Obwohl Jana vor mir läuft, kann ich förmlich durch ihren Schädel hindurch sehen, wie sie die Augen verdreht. »Unser Kind wird den Vater nur von Wochenendbesuchen aus der Anstalt kennen.«
»Ich kann dich hören, Jana.«
»Na, und wenn schon.«
Wir folgen Frau Kuhlig-Semmrau in den Energieraum, doch bevor wir uns setzen, flüstere ich Jana noch etwas ins Ohr.
»Du bist ja nur neidisch. Frau Kuhlig-Semmrau fand es jedenfalls gut. Sogar sehr guuuut.«
4 Schnipp
M anch Ungläubiger würde Frau Kuhlig-Semmraus Energieraum schlichtweg als Büro bezeichnen: Schreibtisch, Bürostuhl für den blauen Engel und eine kleine Holzbank für die Gäste. Außer einer Doppelsteckdose an der Rückwand befindet sich meines Erachtens relativ wenig Energie im Raum. Das restliche Büro zeigt sich erfreulicherweise deutlich weniger penisorientiert als das Wartezimmer. Und anstatt Lederbezügen aus tibetischen Lasttierärschen verfügen die Kissen der Holzbank sogar über handelsübliche Stoffbezüge. Diese sind zwar in Blau gehalten – natürlich –, aber wenigstens keinem weiteren Geburtsgang aus Granulatkügelchen nachempfunden.
Doch etwas anderes erscheint mir merkwürdig. Nachdem wir auf der Miniholzbank vor dem Schreibtisch Platz genommen haben, befinden sich Janas und mein Kopf gerade mal auf Höhe der Tischplatte. Frau Kuhlig-Semmrau hat ihr Mobiliar wohl aus dem Zwergenkatalog bestellt. Ich rutsche unruhig hin und her und versuche, mich nach oben zu strecken.
»Sagen Sie, haben Sie vielleicht noch ein Kissen, man sitzt hier so tief. Ich komme mir vor wie beim Kindergartenfest.«
»Das ist guuuut, Herr Süßemilch. Sie sollen sich nämlich auch klein fühlen. Genau wie ihr ungeborenes Kind. Verletzlich. Schutzlos. Sie verstehen?«
Ich verstehe es nicht, begreife aber zumindest die Message: kein Kissen. Frau Kuhlig-Semmrau sammelt sich indes, breitet die Arme aus und blinzelt uns mit einem milden Gandhi-Lächeln zu.
»Also, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich fang mal an«, meldet sich Jana. »Wir bekommen in wenigen Wochen unser Kind und wollten uns dementsprechend auf diesen Termin vorbereiten. Allerdings haben wir beide keine Lust darauf, einen dieser Standardkurse zu belegen, und da haben wir uns im Internet nach Alternativen erkundigt und sind auf Ihre Praxis gestoßen.«
»Das ist guuuut. Neue Wege beschreiten, ins Ungewisse aufbrechen, sich seinem Schicksal stellen. Die Kraft und Einzigartigkeit des Universums fühlen.«
Ich rücke mit der Nasenspitze nach vorn zur Tischplatte und möchte mich vergewissern, ob wir hier wirklich richtig sind.
»Also vom Universum mal abgesehen«, sage ich. »Wir sind eigentlich nur wegen der Schwangerschaft da und wollten uns ein wenig vorbereiten und entspannen. Sie verstehen?«
»O ja. Und das werden Sie. Ganz bestimmt sogar. Doch zunächst möchte ich wissen, wie Sie beide zueinander stehen. Sie sind der Erzeuger des Kinds?«
»Ja«, bestätige ich.
»Stimmt das?«, fragt Frau Kuhlig-Semmrau in Janas Richtung.
»Aber ja doch.«
Die blaue Fee wendet sich wieder mir zu, kommt um den Tisch herum und fuchtelt mit ihren langen Fingern vor meinen
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