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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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fragendem Blick zu mir herüber, unschlüssig, ob ihr Herrchen und diese plötzlich so anders aussehende Frau am Schrank einander freund oder feind sind.
    »Ich weiß es nicht mehr, Linna. Zuerst war abgrundtief schlechte Stimmung, weil das Flaschendrehen so danebengegangen ist, und um es zu vergessen, haben wir ein paar Bier getrunken und …« Falk hält inne.
    »Was, und?« Ich möchte alles wissen, jedes Detail – Gnade ihm, wenn er jetzt aufhört zu reden! »Was genau ist passiert?«
    »Wir haben uns mehr im Spaß als im Ernst überlegt, wie die Strafe aussehen könnte, und uns ist nix Richtiges eingefallen, womit wir dich ärgern könnten. Echt, Linna, es ist ziemlich schwer, dich zu ärgern. Dir ist ja nichts heilig.«
    Oh doch. Meine Haare waren mir heilig. Aber ich funkele Falk nur finster an, damit er weiterredet. Seufzend holt er Luft.
    »Die Idee, die Sachen zu verstecken, ist im gemeinsamen Herumalbern entstanden, eines ergab das andere, irgendwann hat jemand vorgeschlagen, lauter Schlager auf deinen MP3-Player zu laden, und dann machten wir locker aus, dass einer von uns es tut … ohne noch einmal darüber zu sprechen. Aber ich war es nicht.« Falk hebt in einer lässigen Geste der Unschuld seine Hände.
    »Ich glaub dir gar nichts«, fauche ich.
    »Ehrenwort. Mir war das alles viel zu pubertär.«
    Oh ja, das war es. Pubertär ist gar kein Ausdruck dafür. Aber Maggie hatte schon immer ein Faible für pubertäre Aktionen. Wir brachten einmal den halben Nachmittag damit zu, Jules’ Sockenpaare zu trennen und mit möglichst unpassenden Gegenstücken zu versehen. Ich habe Maggie selten so vergnügt erlebt wie in diesen Stunden. Wir kamen aus dem Kichern gar nicht mehr heraus. Doch damals waren wir fünfzehn. Nicht vierundzwanzig.
    »Linna, niemand konnte ahnen, dass du dich zu Fuß auf den Weg runter ins Dorf machst, wir dachten, dass du die Sachen suchst und dich ärgerst und das war’s. Wie ein Aprilscherz, mehr nicht.«
    »Und was ist das jetzt? Auch nur ein harmloser Streich?« Erneut deute ich auf meinen Kopf. »Wer auch immer dahintersteckt und warum, er wird sein Ziel nicht erreichen. Ich lasse mich nicht einschüchtern, und erniedrigen schon gar nicht. Richte das den anderen aus, wenn ihr euch neue Attentate überlegt.«
    »Ich lasse mich von niemandem zu solchen Aktionen überreden«, stellt Falk klar. »Das ist nicht mein Stil.«
    Oh, wenn ich nur seine Ruhe hätte … Aber er hat die bessere Ausgangsposition, ihm will ja niemand an den Kragen. »Ich glaube keinem von euch mehr etwas. Auch dir nicht, Falk. Und jetzt gehe ich ins Bett, ich will wenigstens noch ein bisschen schlafen, bevor mich eine neue Überraschung erwartet.«
    Ich löse meinen Rücken vom Schrank und will mich zur Tür wenden, als ich ganz am Rande meines Wahrnehmungsfeldes etwas Silbriges auf dem Waschbeckenrand aufblitzen sehe. Länglich und spitz. Ich erstarre mitten in der Bewegung. Es ist eine Schere! Nicht irgendeine Schere, sondern eine Friseurschere. Ich kenne diese Scheren; Mutter hat sie immer benutzt, um mir den Pony nachzuschneiden, sodass er stets ein wenig zu kurz war und ich stets ein wenig zu hässlich aussah. Ihre Spitze pikst kalt in meine Handinnenfläche, als ich sie langsam an mich nehme und in die Höhe halte.
    »Kannst du mir das erklären?« Es kostet mich alle Kraft, die ich noch habe, Falk nicht anzubrüllen. Ich erzähle ihm aus meinem Leben, während hinter mir die ganze Zeit das Tatwerkzeug auf dem Waschbecken liegt. Das darf nicht wahr sein …
    »Ich hab sie benutzt, um Luna die Schneeklumpen aus den Pfoten zu schneiden.«
    »Ja? Deshalb hast du sie dabei? Du wusstest also vorher, dass es so stark regnen wird, wenn wir zur Hütte aufsteigen, und sich Eisklumpen zwischen Lunas Pfoten bilden? Und hast deshalb vorsorglich eine Friseurschere eingepackt? Das soll ich dir glauben?«
    »Linna, nimm die Schere runter, bitte. Da kriegt man ja Angst.« Ich gehorche nicht. Er soll ruhig ein bisschen Angst haben. Eigentlich müsste ich sofort zu ihm gehen und ihm seinen Zopf abschneiden. Es wäre nur gerecht. »Ich rede erst weiter, wenn du die Schere runternimmst.«
    Schnaufend lasse ich meinen Arm ein Stückchen sinken, aber nur, um die Schere genauer zu inspizieren. Ich öffne sie und halte ihre Schneideflächen gegen das schwache Licht. Ungefähr ein Dutzend kurze braune Haare haften an ihnen. Ich habe keine braunen Haare. Ich habe schwarze Haare. Schwarz wie Ebenholz …
    »Danke. Also, wenn du es

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