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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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habe, ach, ich habe sogar das Recht dazu, ganz besonders nach den vielen Geheimnissen, die ich ihm anvertraut habe. Doch vor allem will ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ich möchte erfahren, was er tut und wo er die vergangenen Jahre war, und ich möchte es unbeobachtet erfahren, weil ich nicht weiß, wie ich darauf reagieren werde. Das Rumoren in meinem Bauch warnt mich jetzt schon davor, aber es wird Zeit. Ich kann mich nicht länger vor der Wahrheit drücken. Fünf Jahre waren lang genug. Es wird mich nicht töten, wenn ich sie erfahre.
    Sobald ich meinen Entschluss gefasst habe, kann ich wieder etwas ruhiger atmen. Jetzt erst merke ich, dass ich die ganze Zeit meine Augen geschlossen habe. Blinzelnd öffne ich sie und blicke ins weiche Halbdunkel. Draußen ist bereits die Dämmerung hereingebrochen. Noch immer fühle ich mich müde und erschöpft vom Reden und sehne mich mehr denn je nach meinem Bett.
    Ich statte dem Außenklo einen unerquicklichen Besuch ab und gehe auf direktem Wege zurück in mein Zimmer, um mich unter meiner schweren Bettdecke zu vergraben und schlafend neue Kraft zu tanken, wie immer mit dem letzten Song, den ich hörte, im Ohr, und er schaukelt mich behutsam wie ein Wiegenlied in den Schlaf.
    It’s alright, I got home late last night, but I’m a supergirl … and supergirls just fly …
    Kurz bevor ich ins Nichts abtauche, gemeinsam mit der Musik, sehe ich Falk durchs Wasser gleiten. Er sieht glücklich aus. So glücklich, wie ich es niemals war.

SURFING
    »Und was machst du jetzt? Gehst du zu den Jungs nach oben?« Ich versuche, meiner Frage einen mäßig interessierten Anstrich zu geben, nicht zu unschuldig und beiläufig, doch mein Tonfall soll auch nicht verraten, dass ich genau darauf baue. Anschauen kann ich Maggie sowieso nicht richtig, denn jedes Mal, wenn ich es tue, sehe ich ihre verquollenen Augen und die Pflaster an ihren Fingern. Den linken Ringfinger hat sie sogar mit Verbandsmull umwickelt. Ich sollte vor Wut auf sie und ihre nächtliche Tat glühen, doch alles, was ich empfinde, ist Mitleid und ein unterschwelliges schlechtes Gewissen.
    Unser Abendessen ist friedlicher verlaufen, als man hätte erwarten können. Es war, als hätte jeder von uns für sich beschlossen, das Kriegsbeil wenigstens für diese eine Nacht ruhen zu lassen und nicht mehr an das zu denken, was geschehen ist. Oder die anderen haben entschieden, nach Hause zu fahren, und ich weiß es nur noch nicht. Ich nahm die unverhoffte Flaute dankend an, denn ich war ausgehungert und es gelingt mir nur, in Gesellschaft zu essen, wenn ich sicher sein kann, dass niemand mit mir streiten oder mir Vorwürfe machen wird. Also ließ ich sie in ihrem irrigen Glauben, ich hätte mir die Haare eigenhändig abgeschnitten und anschließend aus purer Langeweile noch eine selbstzerstörerische Botschaft an die Wand gepinselt.
    Wir haben drei Dosen Gulasch geöffnet und Reis dazu gekocht; zum Nachtisch gab es einen großen Topf Grießbrei mit Zimtzucker und Pflaumenkompott. In einem spontanen Anflug von Philanthropie kümmerte ich mich vor dem Essenmachen noch ein bisschen um Tobi, der sich oben auf dem Ofen von den Schrecken des Vormittags erholte. Als ich zu ihm kletterte, begrüßte er mich mit einem Strahlen, wie es selten geworden ist in dieser Hütte. Es tat mir gut, auf der warmen Liege herumzufläzen und zusammen mit ihm irgendeinen überflüssigen Partnerschaftspsychotest aus dem Stern zu machen, eine Frage hirnrissiger als die andere. Aber Tobi hatte solchen Spaß dabei und den wollte ich ihm gönnen.
    Nun sind die Jungs mit der Flasche Marillenschnaps und zwei Kartenspielen nach oben auf den Dachboden verschwunden und ich bin mit Maggie übrig geblieben. Die Männer saufen, die Frauen werkeln in der Küche – die Welt hat ihre Ordnung wieder. Jules’ Laptop liegt zugeklappt auf einem der Querbalken. Er hat vorhin versucht, seine E-Mails abzurufen, doch sein Surfstick machte Probleme. Hoffentlich bekomme ich nachher Empfang und hoffentlich hat der Akku noch genügend Saft, damit ich etwas herausfinden kann.
    »Ich hau mich in die Falle«, sagt Maggie in jenem bemüht lockeren Ton, den sie mir gegenüber so gerne anschlägt. »Männerabend«, schickt sie beziehungsreich hinterher und deutet nach oben.
    Ich bin beeindruckt. Sie vergreift sich derart an mir und ist dann noch imstande, mir nahezulegen, dass ich da oben bei Jules nichts verloren habe. Ihre Nerven sind robuster, als ich dachte.
    »Ich werde auch

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