Linna singt
Septemberhimmel. Ich habe nicht die Menschen gesehen, die uns so still lauschten, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, ich sah die Sterne, als ich für einen winzigen Moment aufblickte und das Gefühl hatte, dass die Welt mir gehöre und mich mit einer Geborgenheit beschenke, nach der ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt hatte …
»Lady Antebellum 7 . Need You Now? Hat Maggie auf die Liste gesetzt … nein? Echt nicht? Oder … hm … Supergirl?«
Er beginnt sofort mit dem Refrain, als erwarte er gar nicht mehr, dass ich einstimme. Er hat mich aufgegeben. »And then shed say: It’s okay, I got lost on the way, but I’m a supergirl and supergirls don’t cry …« Nun unterbricht er sein Spiel, um schmunzelnd zu mir aufzusehen. »Das Video von dem Song erinnert mich übrigens an dich. Du Supergirl«, neckt er mich.
Du irrst, Falk, du irrst schon wieder, ich bin kein Supergirl, denn wenn du noch einen Song anspielst, fange ich an zu weinen, obwohl ich sofort mit dir mitten in einer verregneten Nacht nackt in den eiskalten See springen würde, wie es das Mädchen mit dem Jungen in dem Clip tut, um gemeinsam abzutauchen und sich unter Wasser in die weit geöffneten Augen zu sehen … zu berühren … miteinander zu rangeln, spielerisch … Aber ich bin kein Supergirl. Und ich konnte mich nie entscheiden, ob ich diesen Song gut oder beknackt fand. Trotzdem weiß ich, was Falk meint, wenn er sagt, ich erinnere ihn an den Clip, denn ich habe das auch immer gespürt. Dieses Video hat mich an uns erinnert.
Ich springe auf, benommen und mit schwammigem Blick, um vor ihm und der Musik zu fliehen, bevor ich mich vergesse und all das, was in dieser Hütte geschehen ist. Im Flur pralle ich um ein Haar mit Jules zusammen, im letzten Moment kann ich meinen Lauf stoppen und suche taumelnd nach Halt.
»Sorry, ich …« Sein Blick lässt mich augenblicklich verstummen. So kalt und drohend. Er sieht zu Falks Tür, aus der ich eben getreten bin und die noch offen steht, dann wieder zu mir und wieder zur Tür, während sein Kopf eins und eins zusammenzählt, die offene Tür, mein vom Lachen erhitztes Gesicht und meine zerzausten Haare, er interpretiert es falsch, völlig falsch!
»Dass du in dieser Situation, in der wir stecken, daran denken kannst …«, sagt er so leise, dass ich schlagartig fröstle. Er macht mir Angst. Außerdem ist das ein Maggie-Satz – wie kommt Jules dazu, mir moralische Vorhaltungen zu machen? Ist er schon so tief in ihr Fahrwasser geraten? Die Situation ist wie eine groteske Neuauflage von Maggies und meiner Begegnung vorletzte Nacht. Beide denken das Gleiche.
»Ich hab nur … wir haben nur gelacht, nur geredet und gelacht!«, versuche ich mich zu verteidigen und merke selbst, wie albern das klingt. Meine Stimme sei die pure Verführung, hat Falk eben noch behauptet. Wenn das so ist, kann ich mir jede Verteidigung sparen, dann wird mir sowieso niemand glauben, ganz gleich, wie gut meine Argumente sind.
»Hey, Jules!«, ertönt Falks sonorer Bariton hinter mir. Er kommt mir vor wie ein Rettungsseil. Rasch drücke ich mich in den Rahmen meiner Tür und öffne sie, froh darüber, dass Falk in den Flur gekommen ist und mich aus dieser Situation befreit, aber nicht willens, mich ihm jetzt schon wieder zu zeigen. »Lust, heute Abend eine Flasche zu köpfen?«
»Na klar. Bin dabei.«
Wie locker und freudig Jules nun klingt, ein totaler Stimmungswechsel innerhalb von Sekunden, der mich so überrascht, dass ich gar nicht dazu komme, ihm seinen angedeuteten Vorwurf übel zu nehmen. Er wird mir immer suspekter. Was ist nur los mit ihm?
Lautlos schließe ich meine Tür und lehne mich von innen dagegen, um wieder zu Atem zu kommen. Doch nicht Jules ist es, der ihn mir geraubt hat, sondern meine kleine Rangelei mit Falk. Jules ruft nur ein Fragezeichen nach dem anderen in meinem Kopf hervor. Ja, ich habe Maggie im Verdacht, sowohl bei meinen Haaren als auch bei der Schmiererei an der Wand – aber hätte nicht auch Jules sie geschrieben haben können? Jeder der anderen kann davon gewusst haben. Und Jules verhält sich so widersprüchlich und undurchsichtig, dass man ihm alles zutrauen könnte.
Und Falk? Was wird er nun tun mit dem, was ich ihm erzählt habe – es brühwarm weitertratschen? Oder behält er es für sich? Ich habe ihn immer als verschwiegen eingeschätzt, doch was nützen schon meine Einschätzungen? Bisher waren sie nichts wert.
Ich muss wissen, mit wem ich es zu tun
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