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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schlafen gelegt habe, und das war nicht in einem fremden Bett, sondern auf der Eckbank in der Stube. Ich wollte nicht in mein Zimmer kotzen, falls ich kotzen muss. Und ich war vorher bei keiner Frau im Bett. Ware eh sinnlos gewesen, ich hätte keinen hochgekriegt.« Oha. So genau wollte ich es gar nicht wissen. Die fünf Jahre in Australien müssen Falks Selbstbewusstsein einen Turbo-Booster verpasst haben. Derlei Bemerkungen wären früher nicht über seine Lippen gekommen. »Das ist außerdem nicht meine Art. Ich … ich hab das …«
    »Du hast es nicht nötig, ich weiß«, vollende ich sein umsichtiges Gestammel. »Sehe ich auch so. Aber das hätte ich früher bei Jules auch gedacht. Nur bei Tobi bin ich mir nicht sicher …«
    »Du meinst, es war Tobi?« Falks Schmunzeln verbreitert sich zu einem spöttischen Grinsen. »Der Kleine?«
    »Er hat mich schon in der Sauna angegraben«, entgegne ich lakonisch. »Ich glaube, er gräbt alles an, was bei drei nicht auf den Bäumen ist.«
    »Nee.« Falk schüttelt langsam den Kopf. »Ich tippe da eher auf Jules. Jules dreht langsam ab, merkst du das nicht?«
    Ich antworte nicht. Ich muss wieder daran denken, was ich eben zu spüren glaubte, als ich ihn und Maggie beobachtet habe. Dass er genervt von sich selbst ist. Er erträgt sich nicht.
    »Komm, lass uns das Holz suchen gehen.« Ich quetsche meine kalten Füße in meine Boots, deren Leder unschöne Schneeränder und Falten bekommen hat, und stülpe mir die Mütze über den Kopf, während Falk nebenan seine Jacke und seinen Schal holt. Als wir durch die Stube marschieren, schließt Simon sich uns schweigend an, trotz seiner Erkältung. Er wirkt sehr ruhig und in sich gekehrt. Ich weiß nicht, was ihm durch den Kopf geht, aber er macht nicht den Eindruck, als sinne er noch darüber nach, wie wir möglichst schnell die Bergwacht informieren könnten. Nein, er hat sich damit abgefunden, dass wir bleiben. Er hätte außerdem längst die Leuchtraketen abfeuern können, wenn es ihm so dringlich wäre, nach Hause zu kommen.
    Trotzdem ist für mich ausgeschlossen, dass Simon hinter dem Verschwinden der Handys steckt. Das passt nicht zu ihm.
    Dann ist es Jules, schlussfolgere ich und muss meine Zähne zusammenbeißen, um keinen Panikanfall zu bekommen. Und Jules war es, der heute Nacht zu mir ins Zimmer gekommen ist? Während Maggie es eine Nacht zuvor tat, um mir die Haare abzuschneiden, damit er mir nicht verfällt? Sie beide agieren gegen mich, ohne es voneinander zu wissen? Doch Maggie hatte vorhin Angst, echte, aufrichtige Angst. Jules nicht. Er hätte mir am liebsten erneut ins Gesicht geschlagen. Maggie mag aus Eifersucht den Verstand verloren haben und Dinge tun, die meine Vorstellungskraft sprengen, aber Jules tickt nicht mehr ganz richtig. Wir haben einen Psychopathen unter uns.
    Das sind wohl die Momente, in denen andere Menschen anfangen zu beten. Doch das habe ich mir schon vor langer Zeit abgewöhnt. Ich schlage nur rhythmisch meine Fäuste gegeneinander, um die Angst aus meinem Körper zu vertreiben, und stapfe den anderen voraus durch den tiefen Schnee ins weiße Nichts hinein.

MISTAKE
    »Hier!«, rufe ich, erleichtert und angenehm stolz zugleich. Endlich … Mit dem Jackenbündchen wische ich mir über meine dauerlaufende Nase und strecke die Arme in den Himmel, um kräftig zu winken. Luna bemerkt meine ausladenden Bewegungen als Erste und nimmt meine Fährte auf, dann folgen Falk und zum Schluss Simon. Ich hätte nie geglaubt, dass er so lange durchhält. Es gefällt mir nicht, er muss immer wieder Pausen einlegen, um sich freizuhusten, und auch jetzt zeigen seine Wangen eine krankhafte bläuliche Röte. Doch wir haben alle die Gesichter von Südpoleroberern kurz vorm Kältetod – um die Augen herum weiß, die Wangen dunkel angelaufen, die Lippen spröde, der Blick hungrig. Ohne frisches Brennholz brauchen wir an eine Erholungspause oder gar Essen nicht zu denken. Die Temperatur in der Stube und in unseren Zimmern muss inzwischen um mindestens zehn Grad gefallen sein und sie war heute früh ohnehin nicht hoch.
    »Hier«, wiederhole ich halblaut, als Falk und Simon zu mir aufschließen, und wir beginnen sofort, mit beiden Händen den Schnee von diesem rechteckigen Ding vor uns abzutragen, das ich nach langem, aufreibendem Suchen gefunden habe. Die Muskeln in meinen Waden und die Sehnen meiner Kniekehlen ziehen bei jeder Bewegung; es ist purer Ausdauersport, durch Schnee zu stapfen, der so hoch ist, dass er

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