Linna singt
blutbespritzten Jacke und lege sie hinter mir ab, bevor ich mich wieder aufrichte und Simon zuwende. Er hat seinen Ärmel bereits hochgekrempelt und die Hand ausgestreckt. Ohne Vorwarnung gieße ich ihm den Schnaps über die Wunde und rechne damit, dass er schreit, nach mir tritt, flucht. Doch es kommt kein Mucks über seine zusammengepressten Lippen, obwohl die Tränen dick über seine Wangen perlen. Ich schütte den Schnaps über meine linke Hand, dann über die rechte, um auch meine Haut zu desinfizieren, doch mein Verstand erinnert mich unbarmherzig daran, dass ich hier lediglich Feldlazarettmethoden betreibe. Eigentlich müsste Simon sofort zu einem Arzt mit vernünftiger Ausrüstung gebracht werden.
»Ist was passiert?«, höre ich Falk von draußen rufen. Er muss das Blut entdeckt haben.
»Simon hat sich verletzt!«, rufe ich zurück. »Ich kümmere mich um ihn, hol du weiter Holz!« Wir können jetzt nicht zu zweit an Simon herumdoktern, einer von uns muss die Scheite zerkleinern und das kann Falk besser und schneller als ich.
»Geht es?«, frage ich Simon und wende mich ihm wieder zu. Sein Atem klingt immer noch flach, ist aber etwas ruhiger geworden. »Dann muss ich dich jetzt in dein Zimmer schmuggeln. Wenn Maggie den Schnitt sieht, dreht sie durch. Ich kann ihn hier nicht verbinden; wir haben zu wenig Licht. Du musst dich außerdem hinlegen. Simon, hörst du mich? Hast du verstanden?«
Ich warte seine Antwort nicht ab, sondern wickle die Mullbinde notdürftig über den Schnitt, stopfe mir das restliche Verbandszeug in die Jackentaschen, klemme den Schnaps unter meinen Arm und hoffe darauf, dass Maggie das tut, was man am besten kann, nachdem man geweint hat: fest schlafen.
Wir haben Glück. Wir begegnen niemandem, als wir untergehakt durch die Stube schlurfen – wir können nur schlurfen, da Simon nicht in der Lage ist, seine Füße anzuheben – und in sein Zimmer gehen. Ich stütze ihn, während er sich aufs Bett niederlässt, und hieve seine Beine in die Waagrechte, wobei ich einen Blick auf seinen Verband werfe. Gut, das Blut dringt erst jetzt in die letzte Schicht vor, wir haben keine Flecken in Flur und Stube hinterlassen. Mit unbewegtem Gesicht bettet Simon seinen Kopf auf das Kissen, um blinzelnd zur Decke zu schauen. Noch einmal verteile ich gründlich eine Portion Schnaps in meinen Händen, wickele den blutigen Verband ab und beginne mit spitzen Fingern, den Schnitt zu untersuchen.
»Linna«, stößt Simon mühsam hervor. Wenn mich nicht alles täuscht, kämpft er gerade dagegen an, ohnmächtig zu werden. »Versprich mir, dass ich jetzt nicht sterbe … nicht jetzt schon …«
»Tust du nicht, keine Bange.«
Doch er hört mich schon nicht mehr. Flatternd fallen seine Lider herab und sein Körper sinkt schwer in die Matratze. Warum hat er solche Angst zu sterben? Was geht nur in ihm vor? Ratlos sehe ich mich um. Im Zimmer herrscht die gleiche pedantische Ordnung wie bei meinem letzten Besuch, doch jetzt bin ich froh darum. Es beruhigt mich. Chaos würde ich in dieser Situation nicht ertragen. Ich greife nach Simons Handgelenk und überprüfe seinen Puls. Er geht langsam, aber regelmäßig. Ich wecke ihn nicht auf; es kommt mir gelegen, dass ich die Wunde untersuchen kann, ohne dass er dabei herumzappelt. Es gibt keinen Zweifel, dass sie eigentlich genäht werden müsste. Doch das Blut sickert nur noch langsam heraus, nicht mehr stoßweise wie eben. Sehnen verlaufen an dieser Stelle meines Wissens nicht, es ist nur eine Fleischwunde, die sich jetzt auf keinen Fall entzünden darf. Simon ist schwer erkältet, womöglich hat er schwächere Abwehrkräfte als ein gesunder Mensch. Genau kenne ich mich da nicht aus, aber ob gesund oder nicht, eine Blutvergiftung bekommt niemandem gut. Sie kann sogar zum Tode führen, wenn sie nicht behandelt wird. Wir brauchen einen Arzt. Ich werde nachher mit meinem Handy Hilfe rufen, es geht nicht anders. Bis diese Hilfe kommt, werde ich den Schnitt ordentlich verbinden und darauf bauen, dass die Axt sauber war.
Es ist möglich, dass nichts passiert, rede ich mir gut zu, während ich die Wundränder behutsam zusammendrücke und einen festen Verband anlege. Es kann alles auch glimpflich ausgehen. Es kann …
»Linna …« Simons Stimme ist nur ein schwaches Hauchen, doch er ist wieder wach und er will reden. »Bitte gib mir mein Handy zurück. Bitte.«
»Ich werde nachher Hilfe rufen, mach dir keine Sorgen, ich …«
»Nein. Keine Hilfe. Das meine ich
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