Linna singt
schonen sollte, anstatt Holz zu hacken. Doch er hat schon das erste Stück auf den Klotz gelegt und fixiert es aus schmalen Augen, um es dann exakt in der Mitte zu treffen. Zu wenig Schwung, ich hatte es geahnt. Die Axt steckt fest.
»Mit dem Scheit weiterschlagen!«, sage ich, aber Simon hat sie schon mühevoll herausgezogen, um es erneut zu probieren. Nach dem dritten Versuch hat er den Bogen raus und seine Schläge werden sicherer. Unsere Arbeitsteilung behagt mir trotzdem nicht; ich hasse es, tatenlos herumzustehen, während jemand anderes sich abrackert, aber ich will ihn auch nicht allein lassen. Argwöhnisch beobachte ich, wie er das nächste Scheit positioniert. Er muss es mit der linken Hand festhalten, es steht nicht von allein, und das Holz ist sowieso steinhart durch den Dauerfrost. Das kann nicht gut gehen.
»Nicht, Simon, lass mich mal …« Doch er hat schon zugeschlagen. Die Axt trifft das Scheit zu weit links, nur wenige Zentimeter von der Rinde entfernt. Sofort beginnt es zu splittern und die Klinge rutscht ab. Simons Reaktion ist zu langsam, viel zu langsam … Lautlos dringt die Schneide in die weiche, verletzliche Stelle zwischen seinem Zeigefinger und dem Daumen und zerteilt seine Haut wie Butter. Mein Eingreifen kann ihre Wucht lediglich bremsen; den Schaden hat sie bereits angerichtet. Simon macht es sogar noch schlimmer, indem er seine Hand unter der Klinge wegzieht und den Schnitt dadurch vertieft.
»Scheiße«, flüstere ich. Es ist wie immer bei einer solchen Verletzung, am Anfang passiert gar nichts. Man starrt auf zerschnittene Haut, die weiß und tot wirkt, und plötzlich beginnt das Blut zu sprudeln und hört nicht mehr auf. In dicken roten Schlieren läuft es pulsierend über Simons abgespreizten Daumen und tropft dunkel in den Schnee. Es sieht schön aus, denke ich merkwürdig entrückt, ich müsste es fotografieren oder malen, es hat eine betörende Reinheit. Beides gehört zusammen, das Blut und der Schnee. Es musste Blut fließen …
Dann bin ich wieder Herr meiner Sinne und zerre Simon die Axt aus der rechten Hand, deren Finger den Schaft immer noch umklammert halten, um mir seine linke zu packen und in das schwache Tageslicht zu halten – dort, wo ich die Sonne vermute.
»Nicht«, wehrt Simon ab und will mir die Hand entziehen.
»Ich weiß, es tut weh, aber du musst mich gucken lassen, ob ein Splitter drin ist … oh Scheiße … wir müssen die Blutung stoppen, das ist richtig tief.«
Ich darf jetzt nicht den Fehler machen, den Schnitt zu berühren und ihn möglicherweise damit zu verunreinigen, falls das nicht sowieso schon durch die Axtklinge geschehen ist. Erneut versucht Simon, mir seinen Arm zu entziehen. Er wirkt panisch und das kann ich verstehen, es ist verdammt viel Blut, meine ganze Hand ist schon rot und auch meine Jacke hat etwas abbekommen.
»Nein.« Er schüttelt heftig den Kopf. Seine Augen sind aufgerissen, so blau und groß in seinem geröteten Gesicht, und ich weiß auf einmal, dass seine Ruhe und Gelassenheit von damals nie wieder zurückkehren werden. Sie sind für immer dahin, es ist schon vor langer Zeit passiert. »Ich darf nicht sterben. Ich darf jetzt nicht sterben, auf keinen Fall …«
»Du stirbst nicht! Red keinen Mist, Simon!« Wie kann er so etwas denken? Ich greife nach seiner gesunden Hand und führe ihn nach drinnen in den Anbau, wobei wir eine dünne Spur rubinroter Tropfen auf dem Schnee und dem Boden hinterlassen. Es muss hier doch einen Erste-Hilfe-Kasten geben. Hatte ich ihn bei meiner Suchaktion nicht entdeckt? Doch, da war einer, neben der Kiste mit dem Werkzeug. Ich ziehe ihn hervor und öffne ihn, aber sein Inhalt ist armselig, ein paar Mullbinden, eine Schere, Pflaster, mehr nicht. Kein Jod, keine antibakterielle Wundtinktur. Mit fliegenden Fingern entferne ich das knisternde Plastik von einer Mullbinde und klemme sie mir zwischen Ringfinger und kleinen Finger, in der Hoffnung, dass ich dort am keimfreiesten bin. Dann klaube ich die letzte Flasche Schnaps vom Vorratsregal, öffne sie und halte sie Simon an die Lippen.
»Trink. Das wird jetzt wehtun.«
Ich schlucke ein albernes und völlig unpassendes Kichern herunter. Mein eigener Satz kommt mir wie ein mieses Klischee vor, x-mal gehört in irgendwelchen Abenteuerfilmen, aber es ist nun mal die einzige Lösung, die mir einfällt. Alkohol desinfiziert.
Simon gehorcht. Er trinkt, hustet, spuckt aus und trinkt noch einen Schluck. Vorsichtig helfe ich ihm aus seiner
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