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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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neuerlichen Versuch wissen.
    »Mach ich morgen früh, wenn ich mit Luna rausgehe. Ich bin ja immer als Erster wach. Ich will da jetzt nicht mehr hoch.«
    Auch Falk gähnt und drückt dabei nachlässig die Faust vor den Mund. Ich kann ihm trotzdem fast bis auf die Mandeln blicken. Plötzlich fühle ich mich verlegen und weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Ja, so muss es sein, wenn man einem Mann gegenüber verlegen ist. Ich kenne mich so nicht. Ich habe doch sonst immer einen Spruch parat oder eine meiner Flirtattacken. Ich bin mir überdeutlich meiner Hände bewusst, die ohne meine Haare nicht wissen, was sie tun sollen.
    »Also dann«, murmele ich und schaue auf meine Füße. Dann wieder hoch zu ihm und wieder auf meine Füße, obwohl es meinen Augen in seinem Gesicht besser gefallen hat. Falk kratzt sich im Nacken, doch ich spüre, dass er nicht auf seine Füße schaut. Er sucht nach meinen Augen. »Also dann«, wiederhole ich tumb. »Gute Nacht.«
    Ich sollte jetzt in mein Zimmer gehen. Ich habe ihm gerade Gute Nacht gesagt. Gute Nacht sagen und stehen bleiben ist doof. Das strotzt nur so vor Subtext. Das ist nicht meine Art!
    »Hey, Mozzie.« Nun sehe ich doch wieder zu ihm hoch. Er lächelt. Mich. An. Er lächelt mich an … »Magst du den Rest der Nacht bei mir verbringen?«
    Träume ich? Oder hat er das wirklich gesagt? Das hat er nicht gesagt, oder? Die Nacht bei ihm verbringen? Aber …
    »Ich weiß nicht, ich … äh … ich …«
    Anzüglich zwinkert er mir zu. »Die Hose bleibt auch an.«
    Seine Worte treffen mich wie ein Blitz. Ich habe das Gefühl, in Flammen zu stehen, als ich mich umdrehe und blind vor Hitze nach meiner Türklinke suche. Erst als ich in meinem Zimmer stehe und mir den Handrücken gegen den Mund presse, um den Jauchzer zu unterdrücken, der meinen Bauch zum Beben bringt, begreife ich die Tragweite seiner Worte und auch, dass ich mich verhalten habe wie ein flüchtendes Reh.
    Warum ist er so direkt, so unverblümt? Das bin ich nicht gewohnt, ich kenne es nur in Anspielungen, diesen typischen Floskeln: »Kommst du noch mit hoch auf einen Kaffee?« oder »Mir ist es hier zu laut und zu voll, ich würde mich gerne in ruhigerem Ambiente mit dir unterhalten, fahren wir zu mir?« oder »Komm, es ist kalt hier draußen, wärm dich noch kurz bei mir auf«. Damit kann ich umgehen. Aus diesen Andeutungen kann man sich wunderbar herauswinden, ohne dabei eine schlechte Figur zu machen. Aber Falk hat mich gefragt, ob ich den Rest der Nacht bei ihm verbringe. Bei ihm – was immer das auch heißt, in seinem Arm, neben ihm, in seinem Schrank oder aber nur redend, ja genau, redend und Händchen haltend; egal, es kann fast alles meinen, alles und nichts. Aber ihm musste klar sein, dass es in meinen Ohren fast alles meinen konnte, und vor allem – vor allem hat er gesagt, dass die Hose anbleibt.
    Das kann er nur sagen, wenn er sich erinnert. Ich habe es beim Flaschendrehen nicht erwähnt. Diese Worte kennen nur er und ich. Er erinnert sich! Er will sogar, dass ich es weiß.
    Ich möchte einen Freudentanz aufführen, wie eine wild gewordene Indianerin bei ihren Bitten um Regen und Jagdglück durchs Zimmer wirbeln, ihn anschreien und fragen, warum er es die ganze Zeit geleugnet hat, doch die Wut und Freude, das Lachen und Weinen liegen so nah beieinander, dass sie mich lächeln und im gleichen Atemzug aufschluchzen lassen, ganz ohne Tränen; das Weinen ist nur in meiner Brust und ich liebe seinen Schmerz, denn er wird mich träumen lassen. Ich kann wieder träumen …
    Ich bin nicht mehr allein mit meiner Erinnerung, ich war es nie! Ich weiß nicht, ob sie für ihn genauso schön ist, wie sie es für mich immer war, und im Moment will ich das auch gar nicht wissen, genauso wenig will ich wissen, warum er sich vor den anderen nicht erinnern wollte. Nein, ich schlucke meinen Zorn hinunter, noch will ich das nicht wissen – es genügt mir, dass er sich erinnert.
    Es genügt, um wieder nachts in der Dunkelheit liegen und Musik hören und mich zurückbeamen zu können, wie ich es so oft getan habe, wenn ich dachte, keine Kraft mehr für den nächsten Tag zu haben. Es hält mich am Leben. Ich habe mein Lebenselixier wiedergefunden.
    Plötzlich kann es mir nicht schnell genug gehen, ins Bett zu kommen. Mit fliegenden Fingern zerre ich mir Hose und Pullover vom Körper, stopfe mir die Kopfhörer meines MP3-Players in die Ohren und wähle jenen Track, den ich schon nach meiner Falk-Suche im Internet hörte und

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