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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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härteste Prüfung meines Lebens.
    Nein, ich kann nicht länger warten, obwohl meine Finger immer noch kühl sind, ich muss etwas tun, bevor meine Hände anfangen, vor Anspannung zu zittern. Zögerlich hebe ich den Arm und versuche die Stelle von vorhin zu finden. Meine Finger berühren etwas Hartes, Bewegliches, das kurz nach oben wandert und wieder herabsackt – der Adamsapfel, oh nein, ich hab direkt auf seinen Adamsapfel gedrückt! Sofort lasse ich meine Hand weiter nach links wandern, ja, jetzt ist das, was ich fühle, weicher und nachgiebiger und nun ertaste ich auch die Halsmuskeln, die sich deutlich hindurchdrücken, ich weiß nicht, ob stark oder verkrampft, aber ich spanne meinen eigenen Nacken unwillkürlich an. Ich habe nicht die geringste Idee, wessen Hals das sein könnte. Jeder Mann hat einen Adamsapfel, ob man ihn sieht oder nicht, fühlen kann man ihn, sogar meinen eigenen kann ich fühlen, und wenn ich es tue, bin ich immer wieder erstaunt, wie markant er sich unter meinen Fingern abzeichnet. Außerdem könnte ich gar nicht sagen, wer der drei Jungs den größten Adamsapfel hat. Falk hat einen kräftigen Hals, aber habe ich einen Adamsapfel gesehen? Und Jules? Tobias? Tobias hat immer einen Schal an, ich weiß gar nicht, wie sein entblößter Hals aussieht. In der Sauna habe ich nicht darauf geachtet und auch nicht, als er in Jules’ Haus morgens zu mir gekrochen kam.
    Okay, dann doch das Gesicht, obwohl ich mir eine andere Reihenfolge vorgenommen hatte, aber ein Kinn ist unverfänglich, finde ich, also beginne ich damit. Trotz meiner Konzentration muss ich lächeln, als ich Bartstoppeln fühle, doch auch die hat jeder der drei Jungs, sogar Simon wirkte heute unrasiert. Ich tippe darauf, dass Jules die borstigsten Stoppeln hat, doch ich bräuchte die der anderen zum Vergleich, um diese hier zuordnen zu können. Im Dunkeln fühlt sich alles intensiver an, als wenn man es dabei betrachten kann, das ist ein bekanntes Phänomen, oder? Gab es da nicht dieses Kinderspiel, bei dem man die Augen schließt und ein anderer lässt die Finger den Arm hinaufwandern und man soll Stopp sagen, wenn die Armbeuge erreicht ist? Und jeder sagt viel zu früh Stopp?
    Warum hat der Mann vor mir nicht ebenfalls eine Augenbinde an? Das wäre fair, finde ich. Er kann mich bei meiner Suche nach ihm beobachten. Für einen Atemzug kommt mir die Situation so intim vor, dass ich die anderen rausschmeißen möchte, vielleicht sogar weglaufen, doch niemand soll glauben, dass ich einem solchen Spiel nicht gewachsen bin.
    Das, was ich nun ertaste, sind seine Wangen, warm sind sie und fest, ich spüre die Knochen unter ihnen. Meine Finger werden langsamer, obwohl es anstrengend wird, die Hand so lange erhoben zu lassen, aber ich will ihm nicht versehentlich ins Auge fassen. Doch als seine Wimpern meine Fingerspitzen kitzeln, spüre ich, dass er sie geschlossen hat. Ich kann ihn also nicht verletzen und die Vorstellung, dass auch er nichts sieht – selbst wenn es nur dazu dient, sich zu schützen –, macht mir Mut.
    Diese Augen … Wem gehören sie? Wimpern sind zu unspezifisch, um sie zuzuordnen, aber die Brauen, ja, die Brauen könnten etwas verraten. Wie verlaufen sie? Sie sind dicht und breit und ich glaube, zwischen ihnen, direkt über der Nase, Haare zu fühlen, aber das muss nicht bedeuten, dass man diese Haare auch sieht. Hat einer der Jungs zusammengewachsene Augenbrauen? Das wüsste ich doch. Also sind es Haare, die einem nicht auffallen, und damit als Hinweis völlig ungeeignet. Hier komme ich nicht weiter.
    Meine Muskeln schmerzen so sehr, dass ich den Arm sinken lassen muss. Ich brauche eine Pause, beuge mich jedoch langsam vor, bis ich die Wärme seiner Haut auf meiner Nase und meinen Lippen zu spüren glaube. Früher hätte ich ihn jetzt allein anhand seines Duftes zuordnen können, vor allem Jules, dank seiner teuren Aftershaves. Doch diese Möglichkeit fällt nun weg und ich fühle mich noch blinder, als ich es ohnehin schon bin. Zweifelnd lausche ich in meinen Bauch hinein, als könne er mir sagen, ob er den Mann vor mir wiedererkennt. Ich war allen dreien schon nahe, Jules, Falk und Tobi, wenn auch Letzterem eher unfreiwillig. Doch da ist nur das flaue Gefühl in meinem Magen, das ich vorhin bereits spürte. Es fühlt sich nicht an wie ein freudiges Wiedererkennen, eher wie Kummer, und eines weiß ich ohne Zweifel: Es hat mit dem Anblick von Falk und Luna und der Gitarre zu tun. Ist das ein Hinweis?
    Falk, bist

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